merah.de

Christa Ritter's Blog

Das watschelnde Entlein

| Keine Kommentare

Hier schildere ich noch immer meine ersten zwei Jahre einer verrückten Aufbruchszeit ins Unbekannte mit drei weiteren Frauen und einem sehr anspruchsvollen Mann, den die Springer-Zeitungen während seines 68er Coming-Outs zu den Horror-Kommunarden zählten. Unser damaliger gemeinsamer Alltag: Tägliche Tapes unserer Gespräche, getapte Telefonate, ständige Analysen mit kurzen Intervals für die Verarbeitung auf meiner Matratze, alles sehr anstrengend und doch geradezu großartig. Abstreifen alter Gewissheiten, Umdeutung des vermeintlich Falschen. Suche nach Selbsterkenntnis als einzigartiger Luxus. Vielleicht versuchten wir die äußere Sicht auf uns und die Welt nach innen zu verschieben. War ich im Paradies gelandet? Nein, diese Umschichtung verwirrte mich, sie tat manchmalverdammt weh, fühlte sich aber dann auch wieder wie eine wunderbare Erweiterung an. Aber nichts war mehr sicher, alles in der Schwebe, irgendwie unindividuell, was ist Frau, gibts die überhaupt als Mensch, und mich auch irgendwann???

 

1622108_10200976162005761_7098936881266506308_n

Daher waren unsere Seelenstrips  Not-wendiges Arbeitsmaterial – so weit schienen wir uns einig zu sein. Nach den Strips oder Shitstorms war ich für Momente außer mir. Eine andere, eine, die sammelte, wie ich mal sein könnte. Das Aufjaulen nach so viel Unbekanntem folgte auf den Fuss. Weiter. Einmal nahm Rainer jede von uns auseinander. Konnte ich mich wirklich in diesem Wahnsinnsbild erkennen?

Mein Kopf sei wie der von Reagan, hörte ich Rainer sagen. Mein faltiger Hals, das fliehende Kinn, mein glücklich-dümmliches Getue. 2013-06-20 23.20.34-1Für ihn sei diese Verständnis heischende, zugleich verständnislose glückselige Ignoranz, meine Begriffsstutzigkeit diesem Reagan sehr ähnlich. Mit roten Bäckchen, eifrig und immer daneben. Er meinte mich nicht als weltliche Erscheinung, sondern das innere Bild von mir: So rufst du Mitleid hervor und man kann dir nicht böse sein. Sein zweites Bild von mir sei das eines Kängurus. Es sitzt auf seinem dicken Hintern und macht gelegentlich einen Sprung, fällt wieder zurück und trommelt ängstlich wegguckend vor sich hin, mit dünnen Ärmchen, hin und her dabbelnd. Boxende_KängurusAls du dich mit Jutta geprügelt hast, bist du ängstlich aus deinem dicken Gestell hervor geschnellt, eigentlich nur deine dünnen Ärmchen, sehr zäh zugleich, hast getrommelt, das war kein differenziertes Greifen. Jedes Hinschauen vermeiden durch immer schnelleres Trommeln, undifferenziert, als schütztest du dich vor dem Begreifen. Meine grinsende Begriffsstutzigkeit fand Rainer auffallend, dieses So-Tun-als-ob. Das sei eine Art Spiel, nach dem Motto Ich bin nicht da, muss aber in dem Schneckenhaushalt etwas machen, nach außen ein debiles Verhalten mit IQ Schwachsinn als Tarnung meiner Aggression. Mein Unterteil sei dick und sehr weiblich, wie das einer watschelnden Ente, völlig unbekümmert. DownloadAlles sei von oben nach unten gerutscht, nochmal darunter diese X-Beine. Mein Oberteil wirke ängstlich, mein Unterteil völlig getrennt davon, unbewusst. Die watschelnde Waschfrau mit Riesenhinterteil hat keine Bodenhaftung. Sein psychisches Bild  von mir zeige nach außen debiles Getue, dahinter verborgen ein inneres Wesen mit der eigentlichen Kraft. Ein kleines, kräftiges, knotiges Wesen, eine farbige Puppe, eingeschlossen in seinen schwammigen, schwachsinnigen Haushalt. Ich würde ihn oft so blöd anschauen, als hätte ich dieses oder jenes noch nie gehört, müsse mit spitzen Fingern das Begreifen geradezu von mir weg schieben. Als wirke innen ein archaisches Kraftzentrum, völlig unbeeindruckt und unkultiviert, das auch kaum von anderen erreicht wird. Denn es wolle in Ruhe gelassen werden, um seine Spielchen zu machen, sei zu keiner Kommunikation bereit. Wie ein Samenkorn in seiner autistischen Form. Wenn du dorthin doch mal etwas durchlässt, explodiert die Biestigkeit, diese Kraft, nach dem Motto Lass mich gefälligst in Ruhe. Dieses Reden von Rainer nahm mir den Atem, schnüret mir den Hals zu. Drohte ich in Ohnmacht zu fallen? Aber die Tortur war noch nicht zu Ende: Eigentlich würde ich auf Rainer überaltert wirken, geradezu schwachbrüstig, weil immer erschrocken, eigentlich begriffsstutzig. Mein Totstellreflex sei: Zu bestreiten, dass überhaupt etwas vorgefallen sei. In dieser Leugnung läge der Grund meiner Gefühllosigkeit. Ich sei also wie ein Embryo, noch gar nicht geboren, wehre ab. Bild 18Neben mir könnten Menschen umgebracht werden und ich würde mich durch Wegtrommeln der Beteiligung entziehen. Keine Spitzen und Täler, nur ein großes ozeanisches Gefühl, eben vorgeschlechtlich wie ein Kind, das noch im Fruchtwasser schwimmt. Dieses Wesen sei noch nicht zur Struktur bereit, stünde vor jedem Lernprozess, sei eben faltig wie eine schlaffe Zeltbahn oder ein umgekehrter weißer Zwerg. Seine Hülle seien die flatternden Falten als umgekehrte Sterngeburt, vielleicht wie die Frauen des verrückten Malers Schröder-Sonnenstern. Ungebrochen siegessicher, dabei gänzlich unbewusst. Darin sei eine Trägheit, ein Bequemlichkeitsmoment, etwas Tantiges. Draußen würde Hui veranstaltet, damit innen nichts passiert, wie in der Mode oder der Werbung. Ein pre-potenter Wartezustand, der ihn als Mann nicht erreiche. Ein unfruchtbares Gluckenverhalten, kaum menschlich durchsetzt, eher steril. So eine Kumpelhaftigkeit interessiere ihn nicht, weil Wesentliches gar nicht berührt würde. Solche Verlässlichkeit wolle keinen Anstoß erregen, um ja nicht das Innere zum Leben zu erwecken oder überhaupt ein Licht zu suchen. Ich sei eine Monade ohne Fenster.

Mich traf der Schlag! Hatte Rainer einen Knall oder hatte er etwas Wahres gesehen? Ich wollte unter den Flokati kriechen und mich verstecken. Dann ein Lachanfall. Jesus!  Could it be? Die Grausamkeit dieses Bildes ließ mich schließlich japsend nach Luft ringen. Rainer hatte mir gerade die Haut abgezogen. Selbst, wenn er immer gern krasseste Bilder benutzte, dafür geradezu ein Talent und nicht die Wahrheit gepachtet hat, spürte ich: Ich werde sehr lange an meiner Geburt arbeiten müssen. Anschließend entwickelet Rainer  auch seine  grandiosen Psycho-Bilder von Brigitte und Jutta, aber mir gelang kaum, weiter hinzuhören. Sein Bild von mir war wie eine Granate bei mir eingeschlagen, während es um mich im Zimmer dunkel geworden war. Mein Inneres – eine unfruchtbare Hölle?

Ihr werdet euch vielleicht fragen: Warum haben die das damals gemacht? Solche grausamen Entblätterungen, weit entfernt von Liebe. Ich versuchte, mich diesem Bild interessiert zu nähern. So nach dem Gefühl: Nichts kann mich umbringen. Andererseits: Ich war sicher eine andere, als ich meist glaubte. Gestern, also 35 Jahre später, sprach ich mit Rainer über Identitäten, das Ego als Avatar der Seele. Davon erinnere ich: Manches hat sich ein wenig verändert, manches gehört aber auch zu meiner Grundausstattung für dieses Leben. Letzteres dürfte unveränderbar sein. Auf jeden Fall hat mir damals das Wagnis dieses Blicks gut getan. Denn genau in solch grausamer Offenheit liegt, so meine Erfahrung, doch ein Ansatz von Liebe. Verrückt nicht?

 

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Zur Werkzeugleiste springen