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Christa Ritter's Blog

Das Private wird politisch

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Gestern Abend auf 3SAT eine irritierte Kulturzeit-Redaktion: Werden wir zur Rüpelrepublik? Schlechte Zeiten, nach den guten oder doch umgekehrt? Stinkefinger und dann krachen sich auch noch Slomka und Gabriel in den ZDF-Nachrichten Jetzt geht’s aber los. Der Shitstorm nähert sich den bisher verlogen freundlichen  Bastionen der Mächtigen. Das Private wird tatsächlich politisch, wie die Kommune I damals einführte?

 In meiner Indien-Reportage hier auf meraH habe ich mich noch sehr zurückgehalten, wenn ich von den Shitstorms unter uns vier Frauen und einem Mann, dem Harem berichtete. Erst gegen Schluss der Reise ließ Brigitte in ihrem Beitrag ihren Frust heftiger los. Es knallte unter die Gürtellinie. Und das las sich nicht wie ein Eintrag fürs Poesiealbum. Es knallte seitdem  immer mal wieder, nicht ganz so brutal, aber auf der Folie von Jutta’s Krebs doch für die meisten Leser: unerträglich, unmenschlich, krass und krank – bis zu der Tötungsdrohung eines Bernard, die mich meinte. 269668_10151664237478185_1867592873_nDas tat weh und ich musste nachdenken: Darf ich meine Mördergrube so offen ausstellen? Bloggen ist Silber, Schweigen ist Gold: Könnte ja  stimmen. Andererseits sprach gegen meine Angst immerhin unser gemeinsames Lebensprojekt: Wir Frauen hatten uns vor bald 40 Jahren mit Rainer zu einer Art Kommune-Labor zusammen gefunden (später Harem), weil jede von uns mit der dürftigen Romantik in Beziehung und Karriere unserer materialistischen Konsumgesellschaft gestrandet war. Wir wollten mehr, mussten mehr, träumten irgendwie immer noch von der Vision unserer Generation, dargestellt von den zündelnden Kommunarden. Als ahnten wir, dass erst hinter dem üblich Scheinheiligen doch noch das eigentlich Heilige wartet.

Die Kommune I hatte in den revolutionären Zeiten der Sechziger herausgefunden: Ein Revolutionär revolutioniert zuerst sich selbst, sonst ist es keine Revolution. Denn sonst bleiben sie alte Machtstrategen und regieren weiter per Macht, Gier, Unterdrückung. Wir Frauen schienen zu wissen, dass wir von Rainer, dem Ex-Horror-Kommunarden seine Kommune-Praxis lernen können: Das Private ist politisch. R.b.bvg.i.AutoWie entstand diese Vision?

Die Kommune I hatte sich in den 67ern wochenlang zum Encounter eingeschlossen und rupfte sich dabei, unterstützt vom heiligen Geist dieses mystischen Jahres, alle hässlichen Besitzidiotien aus den Eingeweiden. Besitz an Dingen, Menschen, Tier und Natur. Die Kommune I revolutionierte also mit ihrer krass neuen Lebenspraxis einer allgemeinen Zärtlichkeit, wie Rainer es nennt : An sich arbeiten, lernen, wer man wirklich ist. Das bedeutet: Erst durch Schattenarbeit, heute Shitstorm genannt, begibst du dich auf den Weg raus aus dem Hamsterrad eines kaputten Lebens.

Ihr könnt euch vorstellen, dass es mich umhaute, als ich zum ersten Mal solche Encounter-Praxis im Harem erlebte. Draußen lebte ich die freundliche Fassade, drinnen waberte Mord und Todschlag. Bis ich Rainer kennenlernte, war mir nämlich völlig unbewusst, dass hinter meiner oberflächlich  erlernten Freundlichkeit eine Mördergrube versteckt war. Ein Krieg, den jeder in sich trägt und den ich gern auf die bösen anderen oder  den Scheißstaat projiziert hatte. Insgeheim ging es mir daher immer schlechter. Und so sah ich Rainer’s Praxis, als ich ihn kennenlernte, als rettenden Strohhalm,  fing mit ihm und den anderen Frauen mit diesem Reinigungsprozess an: Projizieren ja, sogar gern und kriegerisch, aber dann auch die Projektion wieder zurück nehmen. Denn was du siehst, bist du. So übst du, dich mit dem Mörder in dir selbst zu konfrontieren. Das Verrückte: Vor Scham und auch weil ich mein Gesicht nicht gern verlor, wagte ich nicht gerade häufig, mich dem schmerzenden Schatten zu stellen. Jutta war damals sehr viel mutiger. Wenn ich mich aber mal traute oder Juttas Performance auf mich übertrug, konnte ich spüren: Wenn du die Projektion zurück nimmst, löst sie sich auf und du spürst, dass hinter dem Entsetzlichen eine Art Freiraum entsteht, der langsam zu Liebe werden könnte. Statt Selbstverachtung erste Selbstwahrnehmung. Geht leider schnell vorbei. 601014_535483389831686_164007956_n

Unser Encounter fand nicht nur zwischen vier Wänden statt. Immer öfter schon auch vor anderen. Und die erschreckten sich und wunderten sich, dass keine von uns rausflog auf Nimmerwiedersehen. Wir hatten intensive Phasen und solche, wo wir uns seltener in die Nähe der Mördergrube trauten. In letzter Zeit wieder öfter. Auch außerhalb des Blogs sind dann alte und neue Freunde immer wieder peinlich berührt, sogar schockiert: Wie könnt ihr nach so langer Zeit noch immer nichts gelernt haben? Oder: Du bist doch alt genug und nichts kapiert? Manchmal ätze auch ich: Hat sich nicht gelohnt, alles für die Katz. Wirklich?

Gerade sitze ich in der Messehalle zu Bremen: Bundesparteitag der Piraten. Die Piraten könnten auch deshalb abgestürzt sein, weil sie diese Arbeit am Privaten zwar in ihrer vollen Hässlichkeit transparent vorführen. Ihnen fehlt aber das Bewusstsein, warum sie das tun. Ihnen mangelt bisher daher Selbstbewusstsein. Laut dröhnen die Kandidaten für den neuen Vorstand ins Mikro: Wir gehen unter in Lärmstreits. Wir haten uns kaputt. In dieser Partei herrscht Krieg.  Da wird das Mikro einfach abgestellt. Mördergruben überall! Die Piraten scheinen noch nicht so weit zu sein, genau diese Hintergrundstreits für die neue Heimat Internet für politisch zu halten. Während uns Gabriel und andere vielleicht ersten Lärm aus der neuen Koalition vorführen. Ihr seht: Kaum merkbar wird das Private politischer. Gute Aussichten?

Wäre schön, wenn ihr hier als Kommentar schreibt, wie ihr das seht.

     

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