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Christa Ritter's Blog

Der Besserwisser auf meinem Beifahrersitz

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Er sitzt beim Dreh eines Science Fiction Films als Road-Movie Die Hamburger Krankheit durch Deutschland auf meinem Beifahrersitz. Zuerst Hamburg, dann Lüneburg, irgendwann in den bayerischen Bergen. Dieser weiße, so streng abweisend wirkende Hauptdarsteller irritiert mich. Ich schaue sein Profil prüfend an. Kommune, Uschi… Da war doch was.

Uschi + Rainer Nov. 1969

Uschi + Rainer Nov. 1969

Und während ich immer wieder von der Straße kurz zu ihm hinschaue, spüre ich etwas Irritierendes, etwas, das ich überhaupt nicht kenne. Rainer Langhans hat zu dieser Zeit sehr kurze Haare, ein ernstes, fast trauriges Gesicht und trägt nur weißes Leinen. In Weiß sind alle Farben enthalten, erklärt er mir. Er lebe in München nach den Regeln eines indischen Meisters, der ihm nach dem 68er Höhenflug den, wie er meint, geradezu lebensrettenden Sinn geschenkt hat.

Rainer mit Meister 1972

Rainer mit Meister 1972

Als dessen Schüler ins Innere gehen: Jeden Tag 2 bis 3 Stunden Meditation, regelmäßiges Führen eines Tagebuchs, kein Fleisch, kein Alkohol, kein Sex (Sex ist der Tod!). Für seinen weltlichen Unterhalt Verantwortung zu übernehmen, das hätte Rainer lange verweigert. Er sagt, dass ihm diese Regel am schwersten gefallen sei. Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist, habe er dann aber doch verstanden. Muss jeder, um die Reise nach innen überhaupt antreten zu können, hieße es bei seinem Meister. Also vor allem Meditieren und nur nebenbei kleines Geld verdienen? Rainer arbeitet als Schauspieler. Ich frage unbedarft, antworte naseweis, verstehe nichts und fühle mich hinter so viel Verwirrung von allem, was ich von dieser Erscheinung auf unserer filmischen Fluchtbewegung durch deutsche Lande wahrnehme, von Tag zu Tag mehr angezogen. Von seinem Indien habe ich keine Ahnung. Und doch… Etwas in mir ist aufgewacht und spitzt die Ohren, während ich mich, meiner weiblichen Körpermacht noch ungebrochen sicher, ziemlich plump an Rainer ranmache. Er ist dann der erste Mann, der mir daraufhin einen Korb gibt. Ein Peitschenhieb! Und für das hoffentlich kommende Filmgenie, das heimlich vom Oscar träumt, eine ungeheure Beleidigung.

Dreharbeiten Die Hamburger Krankheit 1978 (Regie-Assi) Rainer, Fernando Arrabal, Helmut Griem, Thilo Prückner, Ulrich Wildgruber, Romy Haag, Carline Seiser (Regie: Peter Fleischmann)

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Während ich am Set Regisseur wie Kameramann zuzuhören versuche, sehe ich nicht weit weg von uns Rainer flirten, ich bin doch nicht blind, mit seiner 17-jährigen Filmpartnerin, einer Lolita mit wissendem Silberblick und langen Locken.

Rainer mit "Lolita"

Rainer mit „Lolita“

Ich würde also morgen auf der nächsten Dreh-Etappe neben mir einen Mann ertragen müssen, den ich viel fragen darf, der sich mir jedoch mit Nichtbeachtung verweigert. Rainer‘s nüchterne wie knappe Erklärung: Er versuche, Wiederholungen zu vermeiden. Am Morgen wage ich, ihn genauer nach der Kommune-Erfahrung zu fragen: Wie habt ihr es mit den Frauen gehalten? Wir waren anfangs nicht sexuell, wir hatten was Besseres, antwortet er. Was Besseres? Unsere westliche Welt ist fixiert auf Sex als einzige Möglichkeit der Ekstase und dieser Mann neben mir behauptet, er habe mit der Kommune I ein einzigartiges Mehr erlebt. Eine Art Körperaustritt, so etwas wie eine fünfte Dimension… So ähnlich, murmelt er geheimnisvoll. Als dieses High vorbei war, habe er sich bei den Essener Songtagen verliebt. Ein gänzlich anderes Wesen sei ihm dort erschienen. Dieses Wesen, Uschi, die habe auf verblüffende Weise seiner inneren Frau entsprochen. 000002Er habe alles von Uschi wissen wollen, durch nächtelange Gespräche mit ihr mit erheblicher Verwunderung Frauen als Ufos von einem anderen Stern entdeckt. Statt der üblichen Körperverachtung habe er aber gesehen: Ihre Körper sind so schön wie die Köpfe der Männer. Alles, was Uschi instinktiv tat, habe Rainer damals mit Sinn versehen und es den Medien als neue Politik erläutert. Von da an habe er Frauen nicht mehr wie Gegenstände gesehen, murmelt lächelnd der Ernste. Ich muss endlich laut lachen. Uschi als erste befreite Frau, die dadurch zur Ikone wird. Die auch mich mit ihren Fotos und dem Film von Thomé beeindruckt hatte. Rainer und Uschi waren nach dem Ende der Kommune I zu ihren Freundinnen in der einzigen Frauenkommune nach München geflüchtet.

Münchner Frauenkommune

Münchner Frauenkommune

Diese freche Gruppe von Frauen hatte die freie Liebe so kreativ auf die Spitze getrieben, dass ihre Kommune für den anarchischen Kultfilm Rote Sonne als Modell gedient hatte. Nach den anschließenden Tagen der Highfish-Kommune sei aber die Liebe des schönsten Paars der APO zu Ende gewesen. Rainer fand seinen nächsten Lehrer in einem indischen Meister und wurde initiiert. Komm in den todgesagten Park und schau, schlug Rainer Uschi vor. Sie wollte von dieser geistigen Welt nichts wissen: Was du mir anbietest, ist der Tod, ich will mein Leben an den Stränden der Welt genießen. Uschi ahnte wohl richtig. Unausweichliche Trennung. Jede Paarung sei für ihn seitdem uninteressant. Nach Uschi bin ich praktisch gestorben und kam doch zurück, sagt Rainer leise. RainerNach dieser Nahtoderfahrung habe er alles vom Standort eines Gestorbenen aus gesehen. Es galt nun, dieses Leben eines Neugeborenen völlig neu zu lernen: Indem er sich in eine Besenkammer zurückzog, um sich mit Hilfe seines Meisters geistig zu entwickeln. Drehpause: Rainer kritisiert dann, während die Panzer der Bundeswehr für die Kamera über die Heide Probe rattern, gnadenlos mein Techtelmechtel mit zwei Männern im Film-Team, spottet über mich als Werbefuzzi, verachtet auch alles Feministische an mir, die schon lange nur noch als Männer-Opfer die Messer wetze. Tage später kritisiert er mein nicht vorhandenes Bewusstsein und meint damit nicht nur die Kälte meiner Beziehungen, sondern dahinter die nicht vorhandene zu mir selbst, wie er findet, und die der puren Not entsprungene Idee einer Regie-Laufbahn. Herrschen, Krieg gegen andere, mehr als die alte autoritäre Welt kennst du kaum, fliegt mir um die Ohren. So schneidet er mit scharfen Messern kurz vor der nächsten Autobahn-Ausfahrt in alles Aufgeblase, kennt keinerlei Höflichkeit, ist zu mir ehrlich und geradezu unverschämt. So brutal und hässlich wie ich bisher die Welt erlebte, so bin ich? Ich bin empört und doch….

Als der Film im Kasten ist, wieder in München, stellt sich heraus, dass um Rainer bereits drei Frauen und eine vierte in Los Angeles kreisen, die offenbar alle von der radikalen Entschiedenheit dieses gnadenlosen Suchers lernen wollen. You have to face your fear. The wolves are in your face and they have their tongue in your mouth, they choose to come and get you. Nur dass diese Wölfe in mir sind, nirgendwo draußen und erlöst werden wollen. Die Reise durch ein Tal der Tränen, durch meine eigene Herz- also Lieblosigkeit würde beginnen können: erst Kommune als Harem, dann Internet und Piratenpartei. Eine sehr langsame, aber doch unaufhörliche Transformation raus aus der Kleinfamilie, aus vorgegebenen, autoritären Strukturen war seit 1968 dabei, uns alle auf den Kopf zu stellen. Noch war kaum etwas von dieser Virtualisierung zu sehen, die schleichend die westliche Welt, aber per Internet auch den Osten verändern würde: Neue Role-Models, flache Hierarchien, Transparenz wie Information für alle, dass sich die Menschen selbst mit ihrem Privaten über Facebook öffentlich befreunden. imagesHeute sagt Rainer in einem Interview prophetisch: Das Internet ist die große Kommune der heutigen Zeit. Ich aber ahne in diesem für mich magischen Jahr 1978 nur: Meine verrückte Odyssee wird langsam Fahrt aufnehmen. Nach den Dreharbeiten sage ich daher zu Rainer, dass ich eine seiner Freundinnen werden will. Er warnt mich ausdrücklich: Eine normale Beziehung mit mir gibt es nicht, das weißt du. Eine schwierige Sache sei das, ich solle mir diesen Schritt gut überlegen. Ich überlege und weiß doch längst, dass ich keine Chance habe, die aber nutzen werde.

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