merah.de

Christa Ritter's Blog

Der Krieg der Frauen

| Keine Kommentare

Es ist erst zehn Jahre her. Da sind wir für zehn Tage aus unseren einzelnen Wohnungen in eine gemeinsame Altbauwohnung gezogen, umgeben von 9 Kameras in drei Zimmern plus Küche und Bad. Ein kleiner TV-Sender drehte dort mit uns Frauen und Rainer Kommune als Reality-Format und sendete drei Wochen lang täglich. Das, was wir als Labor von fünf Frauen und einem Mann seit damals über 30 Jahre als Münchner Harem, einen virtuellen, proben, wurde anschließend vom Sender zu einer Art hysterischen Gedöns eingedampft. Wir Frauen zeterten, krischen, pöbelten, weinten, waren eifersüchtig und saßen immer wieder, scheinbar auf Rainer untergeben fixiert, rund um einen Tisch. Frauen als unerträgliche Opfer-Hennen um einen Peitsche schwingenden Hahn. Den leisen Anlauf wie die noch leisere Erkenntnisphase, das anschließende Aufstehen, nachdem die eine von uns oder die andere in ihr Problem stürzte, hatte man weggelassen. Manche konnten trotzdem die eigentliche Message entdecken, viele aber schalteten ab. Die Message? Wir hatten uns Ende der Siebziger ungeplant einen Raum für Experimente geschaffen. Wir Frauen und nicht Rainer. Weil jede von uns damals, zu Anfang unseres jahrelangen Encounters, genug Kicks in Beziehungskisten und an Schreibtischen gesammelt hatten. Uns trieben Fragen nach höherem Sinn an: Wer sind wir? Wer bin ich über all dieses Geklapper hinaus? Jede von uns wollte sich ändern, statt länger auf einen zu warten, den es nicht gab: den rettenden Prinzen. Wie ihr wisst: Die Selbstentdeckung hinter dem üblichen weiblichen Opferspiel ist nichts für Angsthasen. Musste und muss noch immer auch ich wie die vier anderen täglich erfahren. Die frauenbewegte Opferfrau und andere alte Ohrwürmer über mich und das böse Leben wollten ja ihre tief eingefräste Wichtigkeit nicht einfach aufgeben. Obwohl die Tür meines Käfigs aufstand, war ich also deutlich so fixiert auf diesen einen Mann unter uns, den Herrn der Schöpfung, wie eh und je. Nie mehr Adam und Eva… wo aber fand ich mein JA?

frei und abgefahren

frei und abgefahren

Nach einem großartigen gemeinsamen Start in dieses Labor der Träume selbständiger Frauen widersprach ich immer häufiger allem und jedem oder tat das Gegenteil, war feige. Der brutale Rainer hatte mir den Kopf verdreht und die anderen Frauen störten! Wir wurden uns, so schien mir, immer fremder. Jede wollte die Number One bei Rainer sein oder fühlte sich verachtet. Ich wollte nach aufregend freien Zeiten auf fast magische Weise zurück an den Herd. Oder anders: In meinen Käfig des Opfers. Meine utopische, eigentlich realistische Brille beschlug. Dahinter dominierte bald wieder Eifersucht, Übelnehmerei, Anfälle der Depression. Ich war in meinen verkaterten Augen allein noch nie Herr meines Lebens, so glaubte ich, musste also wieder vom anderen geliebt/angebetet werden. Ihr ahnt: Am Opferspiel muss viel und lange gearbeitet werden. Inzwischen fast 40 Jahre? Unglaublich! Und doch haben wir in diesen langen Jahren unendlich viel ausprobiert, uns und das Leben studiert, die Nähe eines geistig anspruchsvollen Mannes auf uns wirken lassen, mit allen Erkenntnis lastigen Fehlern. Trial & Error. Nur ich schüttelte irgendwann nur den Kopf, fing an, einem Leben hinterher zu grübeln, das ich nie wollte. Statt die Schwere eines so grundsätzlichen Weges gnädiger zu betrachten. Vielleicht sogar liebevoll? Ihr seid dank eurer Gruppe ziemlich privilegiert, du könntest dankbar sein, sagte mir vor ein paar Tagen ein italienischer Freund. Er hat recht und es gibt durchaus Momente, wo es mir wieder gelingt, meine Entscheidungen als gefühlt zu erinnern. Erstmal bin ich es, die in allem, was mir widerfährt, die Hand im Spiel hat. Das Verrückte aber bleibt: Die Taten scheinen überwiegend nicht an mir festkleben zu wollen. Ich fühle mich viel zu oft als eine Frau, die als Loser dasteht. Und er ist dann schuld: Rainer! Dann überfällt mich der Harem als Irrweg, der mir wenig gebracht hat. Kaum Land in Sicht, quält es in mir rum. Rainer meint, mir entfalle immer wieder das nötige Bewusstsein. Wie allen Frauen. Viel hätten wir geträumt, mühsam sei der Weg aber auch aufregend und so wahnsinnig weit seien wir noch nicht gekommen. Wenn sich auch trotz neuer Family vielleicht weniger tat, als ich grandios erwartete, so doch immerhin manches und deshalb sei ich auf einem guten Weg. Kann sein: Keine von uns fand etwas Besseres, obwohl wir uns ausgiebig umgesehen haben. Wir blieben: der Münchner Harem.

Um uns die penetranten Phasen des Harems-Trübsinn einer Opfer-Karriere aus dem Kopf zu pusten, wenigstens etwas, haben wir uns wie in allen letzen Jahren gerade wieder gemeinsame Wochen im Süden von Sardinien zugemutet. PRIVAT_SARDINIENDiesmal mit mehr Atem, freundlicherem Ansatz, fand ich. Juttas Krankheit hatte uns aufgescheucht. Sie hat Krebs und zeigt damit vielleicht auch stellvertretend für uns, dass wir unser Betriebssystem dingend bearbeiten müssen. Tun wir’s? Ein Foto von Jutta und Rainer am Strand, beide nackt von schräg hinten, das ich auf Facebook postete, löste dann doch wieder einen längst typischen Eklat aus. Jutta schrie, bäumte sich auf, geriet außer sich, während ich ihr schockiert zuhörte. Okay, ich hätte sie fragen müssen. Okay, Facebook sammelt alle unsere Daten im Verborgenen, du bekommst sie nie zurück, sie machen damit, was sie wollen, Löschen geht nur oberflächlich. Okay, Jutta darf mit ihrem geplagten Körper besonders empfindlich sein. Dieses hässliche Foto wird mich öffentlich vernichten, tobte Jutta. Vor zehn Jahren Kommune im TV, jetzt Angst vor allem, was mich nackich macht? Geht die Zeitenwende von uns Frauen zurück auf Anfang? Alles Private back to black in die Wohnstube, wo Mutti wenigstens noch etwas alte Opfer-Macht genießt? Ich bin immer wieder genauso unsicher, wenn ich in diesen Tagen mit den Piraten über das Sichern privater Daten rede. Ich finde die Piraten dann so ängstlich wie die Amis nach 9/11: Überall sind Terroristen, überall Feinde, die uns vernichten wollen. Was für ein Unsinn. Und entsprechend schweigt die Mehrheit der Deutschen. Die Nachrichtendienste gehören zum Kalten Krieg, einer feindlichen Welt, nicht in eine Zeit von Post-Gender und Virtualität. Zurück zur Old-School, zurück in die Welt von Opfern und Tätern, sagen sogar die piratigen Nerds? Zurück in die erdrückende Heimlichkeit privater Wohnzimmer sagen überwiegend auch wir Haremsfrauen, sagen wohl so gut wie alle Frauen, anstatt möglichst furchtlos die eigenen Versuchsballons in Richtung selbst erfundenes Frauen-Leben zu veröffentlichen und sich dadurch mit anderen Frauen positiv zu verlinken.

Es ist also mehr passiert, als wir Frauen bemerkt haben. Die Männer versperren uns nicht den Weg. Das können sie bei aller Muskelkraft gar nicht. Stattdessen, so beobachte ich manchmal, suchen sie neugierig nach weiblichen Zeichen der anderen Art, verändern sich selbst schon lange. Ich glaube, der Planet der selbstbestimmteren Täter ist das Internet: Eigentlich sollten wir mit diesem wundersamen neuen Spielzeug alle Infos sharen, alle Daten, statt Menschen ausschließen zu wollen. Tun die Jungen sowieso. Nicht wieder Opfer spielen: NSA oder sonstwer. Zurück zu Zweierbeziehung statt allgemeiner Zärtlichkeit? Ich glaube, dass besonders für uns Frauen das Internet deshalb einen wichtigen Playground darstellt, weiter aus unserer so klebrigen Opferrolle rauszufinden. Andere nicht als Besitz zu missbrauchen, um später wieder zu klagen. Was der Harem in seiner Kommune-Reality nur vom Sender, also von oben, verdichtet, damit unverständlich zur Schau stellte, läuft längst im Netz, wird dort weiter gehen statt zurück auf Anfang. Wenn ich vor ein paar Tagen auch meinen alternden Körper (bei mir schon lange viel zu fett) öffentlich werden lasse, trenne ich mich schon ein wenig davon, stelle eine Distanz her. Ich bin wieder ein Stück weit weniger mit ihm und der Opferrolle identifiziert. Könnte so sein. Und werde abnehmen? Jutta und ich haben uns nach dem Aufruhr wieder freundlich verständigt. Aber sie konnte sich nicht bremsen und musste einen kleinen Return nachschieben: Auf ihrem Blog postete sie ein Nacktfoto von mir, klein nur, aber von vorn fotografiert. Etwas comicartig verfremdet, versuchte sie mir sofort den Wind aus den Segeln zu nehmen. Wenn du willst, lösche ich es gleich wieder. Ich schluckte kurz: fett, ihr erinnert. Dann war ich doch einverstanden. Für das Hässliche, Dunkle, das, was in der Verdrängung oder im privaten Wohnzimmer Schimmel ansetzt, dich lähmt, sollten Frauen nicht weiter auf die Männer schieben, sondern selbst entschieden, selbst bewusster veröffentlichen. Sollte ich. Wie sieht der Krieg der Frauen aus? Der längst heftig läuft und den wir veranstalten, kein Mann. Was tun wir, um ihn zu beenden? Können heute, zehn Jahre nach unserer Reality-Kommune, die Menschen von weiblichen Flugversuchen schon mehr aushalten, das sogar interessant finden? Die Männer in meinem Umfeld tun sich da trotz aller Neugier doch schwer. Peinlich, zu schwierig, höre ich oft. Auch sie fallen manchmal zurück in die Adam- und Eva-Spiele. Wenigstens zum Schluss möchte ich mich ausdrücklich ernst nehmen: Ich habe mit meinen Schwestern dieses verrückte Labor erfunden, wir wollten Rainer als unseren Frauenflüsterer auf dieser fantastischen Nachtmeerfahrt und alles ist gut! Wenn ich es doch immer öfter so realistisch sehen könnte… Jutta hat die Comicseite wieder auf ihrem Blog gelöscht. Warum?

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Zur Werkzeugleiste springen