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Christa Ritter's Blog

Die Hitze bringt es an den Tag: Krieg!

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Sonntag 24. Februar

Wir sind dort gelandet, wo man anfängt, die Tage nicht mehr zu zählen. Oder: Wo die Tage zu Wochen werden, wie sie hier sagen. Kovalam ist ein Ort der Touristen – von England über Rußland bis Australien. Aber auch der indischen. Mir fällt es schwer, hier die Weißen einzuschätzen. Wer macht Ayurveda, warum sonst ist er da? An einem Strand, der hart und dunkelgrau ist, einem Meerwasser, das auch eher grau ist, Wellen zum Teil hoch genug, dass sich einige Surfer üben. Die Inder können nicht schwimmen, bleiben vorn in den auslaufenden Wellen und das bekleidet. Badeanzüge sind hier noch nicht angekommen. Die Frauen schwimmen in Saris oder in sportlich-jugendlicher Version, in Hosen und T-Shirts, die Männer ebenso. Aber sie haben Spaß in den Wellen, kichern, spritzen, spielen.

Typische "Straße" durch den Ort

Typische „Straße“ durch den Ort

Viele Ayurveda-Kliniken, kleine und luxuriösere Hotels, an der Promenade Fischrestaurants

die Promenade

die Promenade

aber auch die German Bakery mit Brise gekühltem Blick über das Meer, im Inneren des Ressorts kleine vegetarische Restaurants unter freiem Himmel. Nein: Unter Palmen!

Morgens ein Fruchtsalat

Morgens ein Fruchtsalat

Unser bisheriges Lieblingsrestaurant ist Lonely Planet an einem Teich,

Der kleine Teich: Fische und Vögel

Der kleine Teich: Fische und Vögel

Lonely Planet

Lonely Planet

an dem immer wieder weiße Reiher ihre Flügel ausbreiten. Dort und überall sonst werden weiche Gerichte für das Ayurveda-Klientel angeboten, zum Beispiel Kartoffelbrei mit Knoblauch oder Ofenkartoffeln mit Kräuterbutter. Auch die typischen Kerala-Gerichte sind nicht scharf gewürzt, sondern mit Kokosnussmilch sanft für Zunge und Magen. Ich bin darüber sehr glücklich, weil mir die bisherige nordindische Küche wenig gefällt. Zu scharf, völlig zerkocht. Hier gibt es neben der fantastischen Obst-Vielfalt wie Papaya, Mango, diverse Sorten Bananen, irre leckere Ananas, grüne Mandarinen, die süß sind, Jackfruit, Granatapfel, Wassermelonen usw. sogar Salat. Nicht grünen, sondern Gurke und Tomate mit Zwiebeln. Gestern Abend probierte ich einen frischen Gemüsesaft: rote Beete, Spinat, Papaya. Ja, die Säfte sind der Hit!

hier lieben sie die kräftigen Farben

hier lieben sie die kräftigen Farben

Rainer sieht im Gesicht völlig verschoben aus: Ihn haben die Mücken gestochen. Dann heftige Gelenkschmerzen, die er tapfer nur mit einer Tablette für die Nacht überwindet. Beim Abendessen sieht er allerdings noch schwer angeschlagen aus: Er sitzt mit geschlossenen Augen am Tisch und scheint immer wieder wegzudriften. Rainer hat fast 38 Fieber.

Poovan 001Mir fehlen die Rupies. Die Bankomaten sagen mir: kein Geld auf dem Konto. Stimmt nicht. Nach mehreren Bankomaten landen Brigitte und ich in einer Bank und treffen einen jungen Mann, der uns Unorthodox hilft. Er hat ein kleines Reisebüro und nimmt meine Mastercard gegen Cash. Erleichterung!

Brigitte eröffnet die Ayurveda-Massagen für uns und findet einen Arzt und seine Assistentin, die uns in ihrem Center massieren: zunächst eine Grundmassage von einer Stunde, eher sanfte Ölmassage, die uns gut tut. Rainer lässt sich vom Arzt massieren und findet es zu kräftig. Was und natürlich auch beschäftigt: Einkaufen. Du läufst ständig an den kleinen Shops mit verführerisch schönen Angeboten an bunten Schals, Pumphosen, Kleidern, Taschen, Hemden entlang. Die Verkäufer davor strahlen dich an, versuchen, dich in ihre Shops zu ziehen.Poovan 009 Weil die Sachen wirklich wunderschön und auch noch für uns sehr preiswert (eine Pumphose zum Beispiel kostet € 3) sind, lassen wir uns immer wieder gern verführen. Eine auch lästige Angelegenheit.

unsere Hosen in den Kerala-Farben

unsere Hosen in den Kerala-Farben

Poovan 008

Es lässt sich nicht länger darüber hinwegtäuschen, dass sich unter uns Frauen einiges an Frust angestaut hat. Oder anders: Wir sind einander schon eine lange Weile von 4 Wochen ungewöhnlich nah ausgesetzt und noch dazu in einem Land, das alle Spleens und Gewohnheiten aus deinem Gehirnkasten fegt. Aggressionen nehmen zu: per Kopfschmerzen, Fieber, Durchfall oder Alles-häßlicch-finden. Das heißt wohl auch, dass die Dämonen, die du zuhause noch verdrängen kannst, zumal wenn du allein lebst, in Indien umso tückischer auftreten. Mir kommt es so vor, als zeigten sie hier zwischen Hitze, Stromausfall und der lockenden Rückkehr in die vertraute Heimat (unsere Flüge sind für den 27. von Delhi nach München gebucht) ihre hässlichste Fratze.  So gestern und heute geschehen.

Es fing damit an, dass Brigitte Rainer beim Laufen stützen wollte und er sie mit einer unwirschen Geste abwies, zuvor aber Jutta am Strand umarmt hatte (für die Kamera auch, vor Sonnenuntergang). Brigitte war gekränkt, was alles bisher negativ Angestaute aufriss. Sie hat im Team bisher keine Rolle gefunden, genauso wenig wie ich. Severin wieselt in meinen Augen bisher seiner Mutter hinterher, die nun mal auch die Hauptperson seines Films ist. Trotzdem ist so eine Nebenrolle weder für Brigitte, noch für mich einfach mal so zu rationalisieren. Es bleibt das Gefühl, nur mitgeschleppt zu werden. Hier die eigene Rolle von sich aus zu erfinden, gelingt uns nur schlecht. Brigitte war dann die Einzige unter uns Frauen (und Rainer), die die Reise nicht verlängern, sondern enttäuscht und verbiestert abreisen wollte. Sie fand alles zum Kotzen und beschuldigte Rainer, immer nur hinter Jutta herzuwieseln und sich nicht, rein gar nicht, um sie zu kümmern. Damit riss sie das dünne Band ein, das Jutta bisher immer wieder stabilisiert und das auch mich meist aufrecht hielt. Halbwegs. Auch ich sah keinen Sinn mehr in dieser Reise, mich mit diesen Leuten (unserer Community, unserem Team) näher zu befassen, diesem Mutzen-Projekt (ich mach einen Film über meine todkranke Mama und das ist gut so), mich solchen Strapazen des Commons auszusetzen, hier in diesem Scheißland statt in dem nett-vertrauten München meine Dinge zu erledigen. What the hell..? Na ja, dann rauschten auch noch Jutta’s Negativ-Projektionen durch die Bude. Wir Frauen schrien uns an, Rainer lag mit geschlossenen Augen neben uns auf dem Bett und es herrschte KRIEG. Nur mit wem? Hinter dem bösen Geschrei der Vernichtung der jeweils anderen, schimmerte pure Verzweiflung durch. Nicht besser kommunizieren zu können, die eigene verborgene Einsamkeit, letztlich mit sich selbst im Krieg zu stecken. Denn niemand ist schuld, alles bin ich, das plötzlicch alles beherrschende Opferbild eine Illusion.  Harter Tobak. Irgendwann löste sich zuerst bei Brigitte der Knoten, sie geriet zurück in eine gewisse Nähe zu sich. Jutta folgte, ich tat mich weiter schwer. Es stellte sich heraus, dass Brigitte für übermorgen keinen Flug nach Delhi bekam. Marcial würde allein zurück fliegen, wir alle bis zum 12. März verlängern. Was bis dahin tun? In diesem Touri-Ort am südlichen Zipfel dieses verrückten Sub-Kontinents?

Backwater

Backwater

Poovan 027Poovan 018 Poovan 044Heute Nachmittag endlich Aussicht auf Entspannung: Ausflug in die Backwaters, diese berühmten Kanäle durch Palmen- und Mangrovenwälder. Kingfisher und Eisvögel würden wir sehen. Dann dauerte die Anfahrt per Auto eine Stunde, bevor wir mit einem Boot, das per Bambusstange von einem Mann angeschoben wird, lautlos durch diesen Dschungel glitten. Poovan 024Die Stille dieser grünen Backwater hatte, glaube ich, nach dem Krieg von gestern und dem Vormittag, für jeden von uns eine geradezu heilende Wirkung. Was ist Realität, was unnötiger Schmerz, was offenbar klärendes Gemetzel? Rainer sagte dann noch, dass er nur diesen Weg kennt: Nach schönen Erlebnissen einer Öffnung in die Zuversicht schlägt das Gemüt mit allem Bösartigen, was ihm zur Verfügung steht, zurück. Einschüchterungsversuche der inneren Dämonen, die dann auf die andere projiziert werden. Bis man die Projektion in der Lage ist zurückzunehmen und dann aus solcher Qual wieder aufsteht und nicht aufgibt. Weiter, nicht nachgeben! Jutta hatte dann wohl noch ein Gespräch mit Rainer (vor Kamera) auf dem Dach des Wasser-CafésPoovan 054

Wasser-Café

Wasser-Café

Wasser-Bungalows eines Ressorts

Wasser-Bungalows eines Ressorts

hinter dem Sandstrand, der hier wie ein Art Deich das Arabische Meer von den Backwaters trennt: Entsetzlich, dieser Krieg, so anstrengend und furchtbar. Gerade jetzt für sie, die so krank ist. Das Leben muss doch auch anders gehen, ihre Heilung damit vielleicht auch.Poovan 063 Wir glitten dann im Dunkel durch die Lianen zurück. Nein, der Vollmond schien und wir waren alle wieder ganz leise und in uns. Unsere abendliche Puja, irgendwie.

2 Kommentare

  1. was tun bis zum 12? Meditieren.

  2. Hallo Christa, ich freue mich immer über den nächsten Bericht, schreib fleißig weiter!
    Dann hat dein Aufenthalt dort schon einen Sinn. Was ist schon wichtig? Hautsache, ihr kommt einigermassen gesund zurück!
    Herzliche Grüße
    Günter

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