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Christa Ritter's Blog

Die Opferrolle gefällt mir nicht!

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Ein zweites Mal klagen Frauen die Gewalt der Männer an. Kein Respekt, nirgends. Der Mann nutze seine Macht, um sie als Abhängige zu missbrauchen. Die Anklage der Frauenbewegung Ende der Sechziger lautete ähnlich. Hat sich in 50 Jahren also nichts bewegt? Oder kann man damals nicht mit heute vergleichen?  Aber auch nach dem 68er Aufbruch fühlten wir Frauen uns als Opfer. Zum ersten Mal mit radikaler Empörung: Der Mann ist mein Unterdrücker, er ist an der ganzen Weltmisere, natürlich auch an meiner, schuld. Deshalb muss er sich ändern! Ich hatte mich kurz zuvor, in dem ersten verrückten, dem eigentlichen 68er Jahr noch wie auf Schwingen gefühlt. Alles ist möglich! Nun war plötzlich die schöne Vision einer liebevolleren Welt der Gleichen, der Freunde, abgestürzt. Ich fühlte mich merkwürdig betrogen, als Opfer, vom Mann kolonialisiert, hatte keine Ahnung, wohin ich ging, was Frausein im Gegensatz zu Mannsein bedeutet. Mein Blick auf Mann und Welt war wieder patriarchal geworden. Heute würde ich sagen: ich war nicht in der Lage, mich als vollwertige Frau zu sehen. Ich sah nur den Mann, war geradezu  auf ihn fixiert. In bester Eva-Tradition gab ich damit Adam die Macht zurück: Er bestimmte, wo’s langgeht und das war für mich zwar bequem, weil allgemeine Gewohnheit, passte mir gleichzeitig ganz und gar nicht. Ich bockte und blieb im Puppenhaus sitzen. Und die Frauenbewegung? Sie versandete im ähnlichen Dilemma: Selbsterkenntnis, Gleichheit konnte nur vom Mann ausgehen.

Der Mann! Denn durch meine Opferaugen war er wieder der selbstherrliche Gatekeeper, ich insgeheim seine beleidigte Widersacherin. Mein Selbstbild war zurück im Negativen oder war nicht mal vorhanden und wo oben war, stand der Patriarch. Nur der Mann hatte Geist, Macht, war kreativ. Daher beschloss ich, ihn zu beklauen: Nutzte seine sehr langsam anlaufende Bemühung um Selbsterkenntnis, also seine Gefühlswelt, sein Wissen – in Beziehung und Arbeit. All diese Angebote unserer von Männern dominierten Gesellschaft, von ihm definiert, nicht von mir: Auf diese Weise blieb ich ein Mädchen mit Sehnsucht aber weit entfernt von einer selbstbewussten Frau. Seelisch wie psychisch gesprochen: außen ein ständig falsches, weil verlogenes Lächeln im Gesicht, weil nur innerlich rebellierend.  Hinter meiner Maske blieb ich störrisch, irgendwie Opfer der Verhältnisse. Die Frauenbewegung hatte uns Frauen mit ihrem einseitigen, weil nur an Männer adressiertem Anspruch, vom patriarchalen Thron zu steigen, als Opfer, Räuberinnen oder auch Hexen zementiert. In solcher Defensive  lernte ich nichts über mich, über das Mädchen hinaus, über die Räuberin, über meine eigene Täterschaft. Langsam landete ich immer mehr in einer Depression.

Statt mich dann umzubringen,  lernte ich ein paar verrückte Frauen und einen Mann kennen, die einen Weg raus aus dem vertrackten Geschlechterscharmützel übten. Rainer und die Frauen wussten längst, dass Mann oder Frau im Krieg verhakt bleiben, wenn sie im Geschlechtlichen hängen bleiben. Projektion zurücknehmen.  Sie hatten sich so auf den Weg der Selbstveränderung gemacht. Ihr Rückzug aus den üblichen Angeboten funktionierte wie ein Labor, wo du den gierigen Blick nach außen umdrehst nach Innen.  In diese Arbeit stieg auch ich ein, machte mich endlich auf den Weg: Wer bin ich? Raus aus dem bequemen Puppenhaus, aus Mutti-Bequemlichkeit oder Papi-Auftrag, als vermeintliches Opfer von Tätern beschützt, als ein Mädchen, das mit räuberischem Lächeln dennoch immer ins Leere läuft.

Ihr werdet es kaum fassen können: Mein Räuberwesen dauert bis heute an, ist aber immerhin weniger geworden. Denn lange Zeit klaute ich von meinem Gefährten Rainer alles, was nicht niet und nagelfest war. Seine Thesen, viel seiner nachdenklichen Seite, seine Anregungen, bei meinen Projekten auch seine Mitarbeit. Immer gleichzeitig zeternd, dass ich nicht authentisch als Frau (oder Mensch?) selbst kreativ war. Dieser schwierige Weg zu mir selbst dauert sehr lang, war bisher nur selten Friede, Freude, Eierkuchen, ist manchmal so, dass ich verzweifeln möchte. Und doch wüsste ich nichts Besseres. Denn irgendwie ist es auch fantastisch, wenigstens den Hauch einer Veränderung zu spüren. Den merke ich oft nur, wenn mein Obergefährte mich erinnert. Weitermachen! Raus aus dem Puppenhaus bedeutet eben vor allem ein Weg der Entschlackung von der weiblichen Körperfixierung: Unterwerfung und Leugnung der Macht, die ich mir als Opfer oder versteckte Räuberin ständig selbst anmaße. Also auch nur selbst auflösen kann. Und da sehe ich auch wieder die Verbindung zu #metoo. Diese Debatte meint vielleicht wie 68: Frau will den alten Deal nicht mehr mitmachen. Sie versucht wieder einen Anlauf: Aber mangels Sicht auf sich selbst beschimpft die Frau erneut den Mann. So bleibt vorerst im Schatten, welches Machtspiel sie selbst betreibt.

 

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