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Christa Ritter's Blog

Erfinde dich selbst!

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Die Maßlosigkeit einer grundsätzlichen Weltveränderung in den eigenen Lebensplan einzubauen, hat ungeahnte Nachwirkung. Nach dem ersten, unglaublichen, doch unerklärlichen Gefühl des 68er Peak als Post-Gender, musste ich die anschließende Frauenbewegung als Sackgasse erleben. Die Frauen fielen zurück in das Rätsel ihrer Körperlage, es gab wieder zwei Gender. Damals Frauen als eher unbekannte Wesen, daher natürlich Opfer der Herrschenden und die machten dann auch nur das alt-gendermäßige, versuchten Revolution. Und ich landete innerlich verstört im Zwiespalt der Imitation, einerseits braves Papi-Mädchen, das in der toxischen Männerwelt ankommen wollte, anderseits mit großem Widerwillen gegen das Althergebrachte. Das war doch alles krank, so mein verheimlichtes Gefühl, ich war krank oder eigentlich verrückt.

Dann aus dieser zunehmenden Malfunction so etwas wie eine Morgenröte: Mit klassischer Angst vor dem ganz Unbekannten, überwiegend aber doch merkwürdig begeistert, unterschrieb ich zum ersten Mal einen Vertrag mit mir selbst, mit dem Urgrund, den ich in mir noch gar nicht kannte. Aber immerhin ahnte. Diese Ahnung hatte sich durch tagelange gesprächige Aufwühlung mit Rainer hergestellt. Von jetzt an studierte ich im „Harem“, einer weiblichen Kommune. Das war Ende der Siebziger Jahre. Ich dachte, einerseits naiv und auch wie eh und je größenwahnsinnig: Nur hier geht’s lang, um als Frau bis auf die gleiche Augenhöhe zu reisen, um eben ein großes, weil erfülltes, weil geistiges Leben zu entdecken. Mich nicht mehr zu verbiegen im falschen, dem gestrigen Leben. Das ging nur mit einem, der schon etwas erfahren hatte, der die allgemeine Zärtlichkeit der Kommune I kannte, der auch nie wie fremdbestimmt den Röcken hinterherlief, der inzwischen sogar einem geistigen Lehrer zu folgen versuchte. All diesen üblichen Frauenmist, vor allem dem Mann gefallen zu wollen, seine Welt auch in seinen Büros mitzubauen, all das hatte jede von uns fünf Frauen genügend beackert. Letztlich erfolglos, mehr oder minder. Denn talentiert darin war keine. Gescheitert im Banalen der Frau an seiner Seite konnten wir mehr, wussten wir und wollten jetzt mehr. Ich sah mich daher bald auf der richtigen Seite in eine fantastische Utopie unterwegs. Selbstbezogen, daher liebevoll mit anderen, offen einem unabsehbar liebevolleren Leben zugewandt. Neben mir dieser radikale Sucher, schon immer post-gender, der uns Frauen infizierte, inspirierte, umdrehte und in das eigene Fordern schubste. Der dabei ständig redete: Immerzu was Neues, noch nie Gehörtes. Bewusstseinsstudium, schon stark.

Speiste sich aus der radikalen 68er Erfahrung, einer kurzen, unbegreiflichen, bis heute wirksamen. Bis heute versteht das wohl niemand und die Jungen tun es einfach. Alle mit allen, als erweiterte, also liebevollere Ichs. Selbst wenn davon wenig zu hören ist und nur die Lauten bashen und meckern. Zurück auf Anfang: Dank „Harem“ ging irgendwie bei mir zunächst die Sonne auf. Ich stand Kopf. Vor mir der Weg: Ich wollte endlich von mir geliebt werden, nicht von einem Mann. Nicht von dieser kaputten Gesellschaft, nicht von diesem kriegerischen System. Da sollte was ganz Unbekanntes um die Ecke kommen. Eigentlich: vom Himmel. Deswegen studierte ich mit den anderen zunächst himmlische Bücher, versank dank Fasten immer wieder ins Schweigen, versuchte mich mit Meisterschülern in Meditation. Kurz. Dann wurden wir, wurde ich nämlich heftig zurückgepfiffen. Es war ja ans Eingemachte gegangen! Eine schwarze Welle des Widerstands traf auch mich: Es war nicht die fiese Welt, nicht die toxischen Patriarchen, ich spielte mit, war Teil des Patriarchats und daher auch Faschistin. Gemeines, Kriegerisches, Machtgeiles, Intrigantes. Mein egozentrischer Trieb nach Aufmerksamkeit wirkte toxisch, dahinter Selbsthass, nichts von Liebe. Da die üblichen Spielplätze patriarchaler Gewalt als Ehe oder Karriere abgestellt waren, blieb ich einem nackten Spiegelbild ausgesetzt. Unerträglich! Und doch wurde keine rausgeschmissen, gab es keine Scheidung. Neugierige Besucher und kurzfristig Interessierte kamen, gingen aber auch schnell wieder.

 

Mit ständiger Unterstützung von Rainer ging es durch die Hölle unbekannter Frauenpower: Als anfangs gnadenlose Rivalinnen, unfähig als Freundinnen, keine hörte zu, Sprachrohr patriarchaler Meinungen, unkreativ weil geistig träge, besitzverrückt, neidisch, unfähig Auseinandersetzungen durchzustehen und für sich selbst einzustehen. Ich könnte noch länger. Ich lernte dabei: Frauen sind keine Opfer, wir sind verborgene Täter und das gnadenlos. Ester Vilar („Der dressierte Mann“) hatte recht: Frauen sind vielleicht, weil bisher ohne eigene weibliche Kultur, sogar die brutaleren Täter. Wo sieht man denn sowas? Man sieht es und auch wieder nicht: Aber in der Familie herrscht Gewalt. Frauen lenken ihre Kriege aus dem Hintergrund. Diese Macht würden wir im „Harem“ auflösen. Nicht weil dieser Selbstkrieg uns masochistisch Spaß gemacht hätte, sondern weil sich erst dahinter eine wirklich authentische Weiblichkeit, ein komplexes Wesen, ein Mensch, zeigen würde. Okay, was ich hier zu analysieren versuche, ist erst viele Jahre später in unseren Köpfen entstanden. Mit not-wendigem Abstand. Und das auch immer noch mit manchen Unklarheiten.

Ein bisher unbekannter Abgrund hatte sich aufgetan, individuell bei jeder von uns. Und wir waren mit dieser Nachtseite nicht wirklich verrückt oder anders als andere Frauen. Es ist eben genau dieses Unbekannte der Frau, ihre mörderische Macht, die heute immer noch besser verborgen bleibt, sagen die Frauen. Weil sie sich fürchten: Privilegien verlieren. Zu recht! Nochmal: Sobald eine Frau den patriarchalen Schutz verlässt, damit das abendländische Navi in die Ecke wirft, weil.. ja, weil, warum, wieso? Weil sie zutiefst Sehnsucht nach ihrem komplexen Wesen als authentisches Ich hat, nach einem eigenen Geist, letztlich einer besseren Welt, fällt sie raus aus ihrer weiblichen Komfortzone und steht nackt da. Dann bist du wirklich mal verrückt! Wer will das schon?

Kein Wunder, dass sich Frauen selten sowas trauen. Sehr selten. Wir stellten davon bald ein wenig im Fernsehen aus und waren darüber selbst erschreckt. Auch kaum ein anderer wollte uns sehen. Höchstens: Schräger Boulevard. Ich bekam noch mehr Angst, jede verstummte. Und dann hat irgend etwas, Papi und Mami, als Vertreter der Großen Mutter, jedenfalls eine große Kraft uns erneut zurück geschmissen. Wohin eigentlich? In die alte weibliche Komfortzone? Abwarten! Denn der grundverändernde Riss war passiert: Zurück ging nicht mehr. Nicht wirklich. Will ich auch nicht. Seitdem geht jede von uns ihre eigenen Schritte, manchmal kleine, dann wieder größere, dann scheinbar retro, was es nicht gibt, weil man so vermutlich einen nächsten Anlauf versucht: den Sprung hin zu euch, in dieses Experiment einer Internet-Gesellschaft? Wo sich immer mehr Verrückte üben? Wer bin ich und wenn ja, wieviele?

There’s a crack in everything, thats how the light gets in. Ich habe oft die Schönheit meiner Reise durch die Hölle vergessen wollen, wir wurde dann schlecht im scheinbaren Stillstand. Kein Vertrauen, dass da Licht ist, immer wieder. Aber es geht weiter! Also: Wankelmütig bis heute. Kein Wunder bei mehreren tausend Jahren eingeübtes Patriarchat. Bisher immerhin 40 lange Jahre kleine Schritte aus diesem veralteten, toxischen Lebensmodell raus. Denn das war mal mein Ding: Karriere machen, mit Toxen einen Oscar gewinnen. Nee, lief dank großem Glück anders, wunderbar und verrückt. Unablässig in Richtung Zukunft, ja zur Utopie. Hätte ich Rainer nicht als ständigen Berater gehabt, einen, der selbst Verrücktes ausprobiert, wären die Gefährtinnen als „Harem“ nicht gewesen, wäre so eine andauernde Nachtmeerfahrt in einer Katastrophe geendet. Ist sie doch, sagt ihr? Weil ihr euch ständig wiederholt, auf der Stelle tretet, Nabelschau von Frustrierten. Also sei der „Harem“ gescheitert, wir, alle Frauen sind längst weiter. So ähnlich tönt es manchmal. Auch hier auf Facebook: Shitstorms sind das, okay, muss sein. Dunkle Wellen faschistischer Abgründe bei euch wie bei uns. Jüngere sehen in uns anderes und damit ermutigen sie mich. Wie sieht es bei euch aus?

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