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Christa Ritter's Blog

Erinnern, wiederholen, durcharbeiten

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Was willst du denn mit dieser Fotze. Schon flogen die schweren Eishockey-Stiefel nah an seinem Kopf vorbei. Geschrei: Immer ist sie die Schönste, Klügste. Die Frau schlug die Tür mit einem solchen Knall zu, dass fast das Haus einstürzte. Zurück, Tür auf: Hau ab, sie ist ja auch schon so viel weiter, hau ab. Die beiden waren nicht allein. Weitere Frauen im Raum, sie zogen die Schultern ein, verdrehten die Augen. So lief es häufig, eine lange Zeit, unvorhersehbar, unter uns allen. Laut, brutal, weibliche Mördergruben, die wir bisher nicht zeigten. Hier gab es dafür weder Strafe, noch Scheidung, noch Rauswurf. Es ging um das, was zwischen den Zeilen passierte.

Adorno: Nach Auschwitz keine Gedichte. Die Version der ersten 68er: Nach Auschwitz keine Kleinfamilie, sie ist die Zelle des Faschismus. „Kommune leben“ lautete daher die Praxis von ein paar wild Entschlossenen. So könnte es gehen, erfand die Kommune I, kein Mördermonster zu werden, Liebe gar? Vielleicht weil ich hinter meiner Fassade mir selbst so unausstehlich war, hatte mich dieses kurze, magische Jahr berührt, das ich bis heute nicht beschreiben kann. Als hätte dieses Rätselhafte meiner eigenen Mördergrube eine Chance gegeben, etwas eigenartig Unverschämtes aufgemacht. Was war das? Ich traute mir plötzlich in der Welt alles zu und wagte manches. Irgendwie war ich endlich gut drauf. Weder Frau noch Mann. Nicht lange: Beziehungen klappten nicht, auch beruflich war der Wurm drin. Was hatte ich nur geträumt? Könnte ich diese verlogene Welt nicht einfach vergessen? Bald mischte nur noch die RAF die Republik auf.

 

Ratlos hielt ich mich an ersten Meditationsversuchen fest, versuchte mich auch frauenbewegt. Ein Therapeut wollte mich „passend“ trimmen, back to the roots von Adam- und Eva. Afrika und Asien brachten mir wenig, Drogen schon mehr. Wo war meine unbeschwerte Seite geblieben? Unwirklich. Ich sah längst wieder überall Kampf und an allem waren die Männer schuld! Sie waren der hässliche, aber so mächtige Männerbund: ungerecht, krank, toxisch. Aber wie meine Mutter wollte ich auch nicht leben. Bloß nicht Kinder und Küche: Wenigstens in die weite Welt und Karriere machen! Wie aber geht das? Grinsen, lächeln, anpassen, gespielter Optimismus? Aus dem ewig gewalttätigen Spiel schien ich, jetzt immer mehr Komplizin, nicht rauszukommen. Um mich bald depressiv zurückzuziehen: In mir eine wachsende Leere, die weh tat. Meine kühn behauptete Ablehnung des üblichen Spiels, um anti-mäßig doch mitzumachen, hatte mir nichts wirklich gebracht. In meinem Anti blieb ich gefühlt die „Rippe“, blieb die Opferfrau, schwach an seiner Seite? Es war also leider doch wie schon immer: Dem Puppenhaus konnte keine Frau entkommen? Weibliche Selbstverwirklichung ist nicht in der Männerwelt zu holen?

Mit 33 in New York

Um schließlich doch auf etwas Unglaubliches zu stoßen und eine Wahlfamilie zu finden. Meinen Standort in Düsseldorf, die Freunde, die eigene Agentur, hatte ich aufgegeben. Filmemachen lernen, schrieb ich hoch-mütig auf meine Fahne. Ich dachte: Lebenssinn finde ich im Gestalten, einer Kunst jenseits von Kommerz. Auf nach München! Zunächst traf ich einen, der mir weitaus besseres bot. Während vieler Filmdreh-Wochen schredderte mir Rainer Langhans mein #metoo von Opfergetue und Selbstmitleid als verlogene Performance. Ich sei in meinem laschen Ehrgeiz, in meiner unentwickelt, daher unauthentischen Weiblichkeit kalt und gnadenlos, durch frauenbewegte Damenkränzchen verblödet. Und toxisch sei auch die Kunst als Alibi der Spießer, eine Filmkarriere unmöglich, wenn man so wenig über sich und die Menschen weiß wie ich. Dieser Ex-Kommunarde bot mir damit etwas, das ich insgeheim dringend brauchte: einen ehrlichen Spiegel. Was ist mit mir los, wer bin ich? Nach vorn, also utopisch als Menschwerdung gedacht! Wenn nicht die Eva, die ich nie sein wollte. Das war krass: Ich hatte keine Ahnung!

 

Drei Frauen und dieser Mann experimentierten mit etwas, das sie „das Innere“ nannten. Oder „Geist“ oder „eine liebevollere Welt“. Mir wurde langsam klar: Markierungen unserer Zeit des Aufbruchs. Von diesem Inneren war ich seit damals durchaus berührt und hatte doch praktisch keinen blassen Schimmer. Innen, was könnte das sein: Alles Bisherige auf den Kopf stellen, diese falsche, weil brutale Welt, in der du gewalttätig im Kreis rennst, vollgestopft von unnötigem Mist, unter Rivalen ständig überlastet, eben toxisch! Auch ich habe mich dann kleinlaut, wenn auch ausdrücklich zur Sucherin ermutigt, zog in ein karges Apartment mit nur Matratze, Tisch, Stuhl, Regal und Schrank. Jeder von uns wohnte minimalistisch einzeln und wir trafen uns täglich. Rauchen, Fleisch, Alkohol, Klamotten – gestrichen. Das Lernen des Filmemachens: mein Auslaufmodell. Ich suchte Erhellendes, Heilendes: Ausgiebiges Fasten, lesen geistiger Bücher, gemeinsam viel Zeit an der Isar, in heftigen Gesprächen und stiller Natur. In mir setzte erste Weite ein, etwas Weiches, ein Gefühl von „so ist es richtig“. Bald trug ich Baumwollenes, aß längst vegetarisch und versuchte ernsthaft zu meditieren. Ich hatte Gefährten gefunden, nichts von Sekte.

die Anfänge des Harem: Christa, Jutta, Brigitte

Sicherheiten, schale Gewohnheiten abschaffen, um letztlich auf etwas anderes zu stoßen. Dieses Unbekannte, das ich bisher nicht sehen konnte, höchstens ängstlich ahnte, fand unter uns als Labor für „verrückte“ Frauen den not-wendigen Raum. Die Jahrtausende lang verdrängte Gewalt der Schlafzimmer als Opfer-Frau zeigte sich schnell in jeder von uns. Drastisch und hässlich! Ich war Sklavin aufgeblähter Einbildungen, nichts Selbstbewusstes. Erst sehr langsam tauchte erstes schmerzlich Klärendes vor meinen Augen auf: Gewalt gegen jeden, dieses Laute, Harte. Ich hätte mich vor mir selbst fürchten müssen. „Riefenstahl“ nannten mich die anderen Frauen. Gnadenlos wüteten in mir „Feldwebel“ und „Großkotz“ und schufen erst die Welt, vor der ich vermutlich Angst hatte. Ich lernte: Frauen sind weiß Gott nicht die besseren Menschen, ihre unbewussten Machtspiele aus der zweiten Reihe, ihr Besitzwahn wirken umso toxischer. So führt der Mann als eingebildeter Mächtiger aus, was  die stramme Mutti zuhause befiehlt. Was für ein Zustand! Immer wieder versuchten wir, unsere Mördergruben aufzuführen, um schließlich durch solche Schrecken als ständige Schattenarbeit hindurch zu finden: Erinnern, wiederholen, durcharbeiten – wie in der Therapie bekannt. Wir Hyänen übten, in solchen Höllen nicht hängen zu bleiben, sondern weiterzugehen. Das erhellte: Wir sind auch anders! Nur kurz, schon stand die nächste Hölle an. So nutzten wir unser Labor analoger Shitstorms zu Versuchen der Selbsterkenntnis in einer Odyssee durch die Nacht: Auch Frauen sind Faschistinnen und müssen darin nicht stecken bleiben. Weibliche Mördergruben rauf und runter. Für viele Jahre eine ständige Nachtmeerfahrt.

 

Rainer ermutigte uns, nicht abzulassen, nicht aufzugeben. Dahinter wirkte eine östliche Spiritualität, die er gefunden und ihn nach dem 68er Höhenflug gerettet hatte. Sie wurde unser aller Orientierung, wenn auch bei mir stümperhaft. Immerhin spürte ich an guten Tagen erste minimale „Bewegungen“ in mir. War das schon Inneres? Und Stunden später war davon nichts mehr da. Ein ständiges Scheitern in eine neue Welt, in etwas, das nicht zu fassen war? Einmal zeigten wir unsere Odyssee sogar als Reality-Soap wochenlang vor TV-Kameras. Damals war diese Schattenseite von Frauen für ein Fernseh-Publikum vermutlich schockierend, unbegreiflich, das Internet der Shitstorms noch weit weg. Inzwischen hat sich das Internet als Forum der Selbsterkenntnis für alle aufgetan, von den Alten ständig gebasht: Aber besonders die Jungen nutzen die Sozialen Medien. Ihre Shitstorms so ähnlich wie einst unsere: Als Anschauungsunterricht der eigenen Mördergruben. Faschistisches öffentlich erinnern, wiederholen und durcharbeiten.

Nach Video-Experimenten erstes Selfie-Drehen mit Mini-Kameras

Unsere in den Medien der Achtziger und Neunziger jedoch so skandalösen Shows öffentlicher Höllen von Frauen führten zum Rückzug. Zuviel „niemand liebt mich“, zu wenig selbstbewusste Zuversicht! Befreundete Männer, die zuvor noch fasziniert unsere Nähe gesucht hatten, auch einige Frauen, waren plötzlich verschwunden. Würde man mich bald als Hexe verbrennen? Ungeliebt und nicht anerkannt, da knickte ich ein. Jede Ablehnung eines TV-Projekts, das ich den Sendern anbot, verstärkte meine Zweifel. Kommunikation erweitern, mich endlich eigensinnig und authentisch bewegen, das wollte ich noch immer außen erreichen, in dieser alten schlechten Welt der Konkurrenz. Dass ich längst jeden Tag virtuelle Filme drehte, dafür blieb ich blind. Obwohl ich spürte: In diesem langatmigen, weil Hardware-Filmgeschäft des Männerbunds zu kämpfen, lohnt sich nicht. Meine Freude am Medialen würde ich grundsätzlicher verorten müssen: Also zog ich in eine größere Wohnung, lud Menschen ein, die mich interessierten, übte in dieser Art Salon oder Talkshow Fragen stellen, zuzuhören, eine eigenständigere Sprache für meinen Weg zu entdecken.

Aber ich hatte noch immer nicht tiefer verstanden, dass es auf meinem Weg raus aus dem Eva-Schwachsinn weiter um Scheitern ging. Scheitern aus letztlich allen Aspekten der Opfer-Rolle, aus weiblicher Rivalität, aus Intrige und Machtspielen in etwas so viel Besseres, in das Eigentliche, eine größere Kommunikation der Liebe willen. Großes Wort: der Liebe willen. Die Vision meiner 68er Generation, letztlich also meine, kann gar nicht sterben. Sie wirkt weiter im Verborgenen, von mir und allen Menschen unbemerkt. Scheitern aus einer veralteten Welt der Feinde. Vertrautes schwindet, Angst vor dem Neuen kommt auf. Dranbleiben!

 

Unser Ex-Kommunarde und Gefährte Rainer Langhans ist die einzige Lichtgestalt in dieser Wüste, die ich kenne. Er geht unbeirrt seinen Weg, ermutigt mich, meine Gefährtinnen, plädiert in der Öffentlichkeit immer wieder für das Internet als einem ersten Tool, das die Menschheit bewusster nutzen könnte, um weiter aus der üblen Welt eines überbordenden Materialismus heraus zu scheitern. Nach wie vor packen mich immer wieder Zweifel, komme ich vom Weg ab, so erscheint es mir in solchen Phasen, und werde blind für meine neue Realität. Fake-News irritieren gewaltig, weil sie den engen Verstand sprengen. Auch meinen. Wir seien längst mitten im Umbruch, sagt der Gefährte, nutzten derzeit unseren Genozid der Natur als bedrohlichen Klimawandel, um aufzuwachen. Vielleicht müssen noch mehr Schrecken kommen: Erinnern, wiederholen, durcharbeiten. Bis das Licht für Mehrheiten sichtbar wird. Denn, so Rainer aus eigener Erfahrung: In der Mitte der Dunkelheit läge das Licht. Die Super-Kommunikation aller als kommende Liebe sei eigentlich schon jetzt in Teilen sichtbar, keine Illusion aber als „Fremdes“ noch äußerst bedrohlich. Natürlich muss ich bei solchen Umdeutungen nörgeln: Das dauert alles so lange! Daraufhin sein Lächeln: Den Zeitfaktor kennt natürlich keiner.

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