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Christa Ritter's Blog

Greta meets Trump

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Ferien in Capo Ferrato (Sardinien): Habe gestern lange still, fast entspannt mit Gisela, Brigitte und Rainer im Sand gelegen. Kaum Wind, die Sonne steht schon tief. In dieser heiligen Ruhe explodiert Greta zwischen uns. Und Trump natürlich, aus gegebenem Anlass! „Verspotten“ setzt Rainer zu einem Diskurs heftiger Gefühle an. „Wieso verstehen die Medien Trump‘s Tweet über Greta nur als „verspotten“?“ Rainer steht vom Handtuch auf, läuft jetzt nachdenklich zwischen unseren Sonnenschirmen hin und her. Rainer weiter: „Aber was hat er wirklich getan? Ich würde sagen, wir könnten versuchen, ihn und seinen Tweet aus viraler Sicht zu sehen. Komplexer, wie wir es nennen.“ Hä, verstehe noch nicht, Frage zulassen. Sagte Rainer nicht eben „komplexer“? Gisela: „Das ist deine Meinung, sowas siehst nur du!“ Hat sie recht, denke ich. Trump‘s Tweet ist böse, ironisch, gemein, wie dieser ganze unsägliche Typ. Gisela hebt den Kopf, als lauerte sie auf das nächste fette Stichwort zu auch ihrem liebsten Schwachkopf. Ja ja, Rainer, wir missverstehen diesen Mann der Zukunft. „Ich weiß, ihr denkt wie die Spießer, wie wir alle, wenn wir an der guten, aber doch längst gescheiterten Aufklärung festhalten.“

Brigitte, was macht eigentlich Brigitte? Sie liegt scheinbar regungslos unter ihrem Schirm. Ich bin sicher: mit gespitzten Ohren. Rainer ist jetzt mit seiner Umdeutung nicht mehr aufzuhalten. „Greta und Trump sind beide Internet-Menschen, die muss man weit über den Verstand hinaus lesen. Sie sind für die alte Welt nur verrückt, wie wir alle verrückt werden müssen.“ Bin ich auch schon irgendwie, grinse ich in das Tuch unter meinem Hüftgold. „Wie ihr wisst, lautete der Tweet von Trump: „Sie scheint mir ein sehr glückliches junges Mädchen zu sein, das sich auf eine fröhliche, wunderbare Zukunft freut. Das ist so schön zu sehen.“ Wir könnten diesen Tweet ganz einfach, direkt und positiv verstehen, ganz so wie er formuliert ist, dringt an mein Ohr. Ich schaue zu Gisela, als sie gerade die Augen verdreht. „Aber wir sind schon so negativ geworden, dass es nichts Positives mehr geben darf. Alles wird runter gemacht, grundsätzlich.“ Rainer weiter: „Im Internet verständigt man sich anders: drei, vier Wörter und der andere weiß schon, was gemeint ist. Keine Hintergedanken, kein langes Gefasel, ganz direkt. Weil wir hinter jedem Shitstorm längst Freunde sind. Als Freunde können wir sogar diese unsäglichen Shitstorms rauspusten, trauen uns ehrlich zu zeigen, ohne die Maske falscher Höflichkeit.“ Genau, finde ich, so hielten wir es auch im Harem, als es das Internet noch nicht gab: Alles muss raus! Echte Freunde dürfen sich alles sagen! Und dadurch lernst du.

Ständig sei von Komplexität die Rede, grassierten Verschwörungstheorien. „Das sind die Vorboten der Spiritualität,“ deutet Rainer weiter, „jeder von uns spürt, dass die Welt, wie wir sie aufgeklärt und rational verstanden, heftig ins Rutschen geraten ist.“ Ich nicke, wie ich bemerke, nicht als Einzige. „We are experienced,“ so Rainer, als wolle er unsere Erinnerung abrufen, „das hieß auch damals wenig Worte, ein Blick, jeder wusste alles von allen. Für Außenstehende war das bedrohlich, verrückt.“ Heute gehörten wir mit unserer ängstlichen Seite zu den Spießern. Rainer hat’s geschafft: Tatsächlich weht mich ein Hauch des damaligen Gefühls an. Wie hat Greta auf den Tweet reagiert? Als Internet-Mädchen habe sie Trump mit seinem Tweet verstanden und seine Sätze in ihren Twitter-Account übernommen. Rainer scheint sich darüber zu freuen: „So ist das Treffen mit Trump, das Greta ursprünglich ablehnte, auf wunderbar virale Weise doch zustande gekommen. Gisela wieder im alten Spiel: „Trump wollte sie ja nicht sehen, erschien zu spät!“ „Der lief später aufgepumpt an ihr vorbei, der Hund,“ ergänze ich. Schon erleuchten mich Rainer‘s nächste Fake-News: „Der hat zwar ihre Rede verpasst, aber nur, weil er natürlich einen anderen Termin hatte. Trotzdem saß er plötzlich unerwartet unter den Zuhörern.“ Alles nur Vermutungen, kreischen wir durcheinander: „Du redest dir immer den ganzen Trump schön.“ „Kommt raus aus eurem Pessimismus… “ so Rainer, „ich bin, eben anders als ihr, optimistisch. Trump hat mit seinem Tweet doch noch Greta getroffen. In Wirklichkeit ist er nämlich wie sie in diesem euch so fremden „Irrationalen“ unterwegs, dem neuen Rationalen, entschlossen, uns ständig wunderschöne Fake-News zu liefern.“ Ja, Rainer ist verrückt und muss seinen, wie er glaubt, Optimismus nun zur Verstärkung auch noch wiederholen: „Trump hat Greta in ihrer UN-Speech zwar verpasst, aber viral erreicht. Zwei Freunde haben sich getroffen.“

Ich sinniere: In seinem Tweet ist also kein Spott, keine Ironie verborgen. Sie sei heute tatsächlich ein glückliches, junges Mädchen, so Rainer weiter. „Welches Mädchen kann sich schon in einer so weitreichenden Rolle erfinden?“ Dazu gehöre eine enorme Stärke, die sie sich dank ursprünglicher Leiden erarbeitet habe. Was habe ich da gelesen? Mit 12 Jahren ist Greta krank geworden, so berichtet ihre Mutter im Buch. Daraufhin hat die ganze Familie ihr Leben umgestellt, Greta hat jede Unterstützung erfahren. Sie gab den Ton vor. „Sonst hätte sie sich nie ganz allein vor das Parlament gesetzt und diesen Streik ausgelöst“, vermutet, nein, weiß Rainer. Greta sei nur deshalb so überzeugend, weil sie diesen Hintergrund hat. „Trump hat das verstanden. Denn er ist klüger als er bis heute überall missverstanden wird, schon immer ein Mann, der in seinem Leben nicht das Übliche machte,“ dringt an mein Ohr. Er sei daher alles andere als der klassische Parteipolitiker, der, wie selbst Obama durch Finanzierung seines Wahlkampfes an der Leine der Wall Street hängt. „Trump ist bereits unterwegs in etwas Neues, das er „great“ nennt, das nur mit der schwarzen Brille einer alten Welt fürchterlich aussieht.“ Der aber mit seinen hunderten Tweets an alle, einen gigantischen Kommunikationsversuch fährt. Der schon mal von Liebe rede, selbst, wenn er davon vielleicht nicht viel weiß. „Und Kommunikation ist immer Liebe. Sein Tweet an Greta dürfte also die FFFs anregen und weiter ermutigen“, erläutert uns Rainer.

Trump will Macht, ist ein Lügner, Narziss, alles Bilder unserer Angst vor dem zunächst Unbegreiflichen? Kennt eigentlich jeder. Weil das Neue nur mit alter Brille bedrohlich erscheint? Rainer beschwört seine Sicht, dieses für uns noch so „andere“, das ich nicht zu fassen vermag, aber doch ahne. „Trump will raus aus dieser verlogenen Welt, zu der er selbst gehört. Er wagt etwas, das eben bisher immer tragisch endete. Aber weil er klüger ist als alle anderen, hört er auf seinen Bauch, das Kind in ihm: Da ist das Internet und das wird mir einen Weg auftun.“ Aha, ein Instinktmensch, grummelt es in mir, einer, der die Nachtigallen husten hört. „Du spinnst,“ sagt Gisela, ganz trocken, „der ist so viel Kind, dass er für Flüchtlinge Kinder-KZs baut, Mauern für die lieben Nachbarn, seine Klimakrisen-Leugnung usw.“ Rainer lässt sich nicht erschüttern: „Das sind nur ehrliche Zwischenlösungen seiner faschistischen Seite. Er ist immerhin so ehrlich, sie öffentlich zu machen. Aber ich denke, er wird durch diese Phasen durchfinden. Wogegen die Demokraten ihren Faschismus verstecken, weiter lügen, viel behaupten und in einer scheußlichen Welt eigener Privilegien verhaftet bleiben, bleiben wollen.“ Faschismus? Durchfinden? Rainer hat recht: Diese feigen, elitären US-Demokraten, die ihre Ambitionen längst verrieten. Clinton & Co. gefallen mir noch viel weniger.

Der Wind ist stärker geworden, wir packen unsere Taschen. „Brexit, die Rechten, Trump sind die ersten Zeichen der Auflösung unseres Konzepts der Aufklärung, einer materialistischen Welt. Wir verlassen diese Welt bereits. Was als Fake-News erscheint, sind die Real-News einer neuen Welt. Auch ihr fürchtet euch davor, wenn ihr hier losschreit. Das verstehe ich.“ Rainer’s Stimme klingt jetzt sanft, als wolle er uns beruhigen. Aber Trump, das sehe man ja auch schon in seiner Politik mit dem Iran, den Russen oder Chinesen: Er pendelt sich durch viele Phasen, macht seine Politik emotional, schon sehr anders als alle Präsidenten der letzten Jahre. „Aber nicht nur ihr, wir alle verstehen noch nicht, was da mit uns und unserer alten, engen Demokratie passiert.“ Und nun stürzten sich alle auf Greta, die fast weinend mehr fordert, als nur eine Techno-Lösung. Als ahnte sie ihren Demo-Followers voran: Es ginge nicht um die kleinen Reparaturen hier und dort. „Die Welt verändert sich grundsätzlich.“

Die Sonnenschirme sind zugeklappt, die Taschen gepackt, wir laufen den Weg zurück zu unserem Haus. Durch ein weites Feld braun-rötlicher Dolden. Wilder Fenchel, Anis. Dicke Raupen auf dem Sandweg, manche wunderschön. Grüne mit roten Punkten und langen Härchen, gelbe mit schwarzen Streifen und spitzem Horn. Als wollten sie ankündigen: Aus uns schlüpfen demnächst die schönsten, buntesten Schmetterlinge.

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