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Christa Ritter's Blog

Hilfe, das Abendland stirbt und ich dazu! I like?

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Die Platte in meinem Kopf hat nen Sprung: Mögest du in schwierigen Zeiten leben. Immer wieder, alles schwierig, nie entspannt. Ätz! Ich, die eingebildete Königin, landete mit einem großen Plan auf diesem Planeten: Du darfst dir was wünschen, lockte die Fee, als ich mich umsah.

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Ich antwortete: Aufmerksamkeit. Und damit hatte ich den Salat! Woher aber kommt mein siehe oben rätselhafter Lieblingssatz? Unbequeme Zeiten könnte ich doch als eine Gnade betrachten: Wenn die Menschen woanders hin wollen, als dort kleben zu bleiben, wo sie sind. Wie ich. Lach: Mögest du… Ich möge heute gar nicht. Überhaupt nichts Schwieriges. Was war falsch an meinem kindlichen Wunsch? Ich wollte auf einer Bühne stehen und unten applaudieren die Menschen. Sie lieben mich! Nichts hat geklappt. Hat mir die Fee den Wunsch verdreht? Seit fast vierzig Jahren ordne ich die große Einbildung um, schreie, schlage, verachte, hasse und eine Pusteblume steht mir hilfreich zur Seite. Schwierige Zeiten: Ich sehe diesen Kommunarden Rainer als einen Avatar der bösen Fee, da bin ich mir sicher, und sie/er läuft gerade mit mir Peitsche schwingend durch den Park. Dieser Rainer: Graue Locken, inzwischen. Weiße Klamotten. 10275971_695846327123697_1643007906561563148_n

Und er tönt gerade: Das Abendland geht unter und wir haben das 1968 angeschoben. Die Stunde Null für eine neue Zeit. Liebe statt Gewalt. Pack endlich auch mal deine ein, ergänze ich still. Während ich innerlich ganz alt nach Luft schnappe.

Mit deinem Getrampel und Getrete der anderen hast du dir keine Freunde gemacht, schallt es. Blinder Gehorsam ist vorbei, das Abendland der Mächtigen löst sich auf. Du könntest lernen, aber du willst ja nicht lernen. Hat Rainer ein Rad ab? Schnapp: Wut all over! Von mir aus: Soll doch alles, was ich kenne, untergehen. ALLES! Die Adams und Evas, die Riesterrente und die Literaturbeilage. Ich bin sowieso nichts in dieser Welt, habe kein Geld, hocke mit 70 in meiner Klause und alles war umsonst, schreie ich in die Locken neben mir. Deine Scheißkonzepte habe ich mir angezogen. Fast vierzig Jahre lang. Nach Innen forschen, nachdem die Kommune-Letzten Ende der Sechziger von Rockern verprügelt wurden und dich Uschi verließ. Neuland ist weit weg, ich hasse die Menschen und die Welt und mich noch immer. Du kannst ja so radikal sein, wie du bist, aber nicht ich. Meise! Während du dir damit ein gewisses außenseiterisches Renommee verschafft hast, setze ich nach. Kommune I als Vorläufer des Netzes, ha. Damit punktest du jetzt und bist sogar, wie schön, als Ex-Kommunarde im Geschichtsbuch gelandet. Und mich kennt niemand und will auch niemand. Rainer: Es geht nicht darum, dass dir wieder ein Mann das Leben besorgt. Wir sind aufgebrochen, dass jeder die Liebe in sich entdeckt. Welche Orden, welche Materie? Wenn du das haben wolltest, dann warst du im Harem falsch. Etwas anderes wirkt, alles zwischen den Zeilen. Was du sowieso nicht kapierst. Ein heißer Flash schießt in meinen Kopf: Ich und nichts kapieren!

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Kurz durchatmen. Ich kapier auch nichts, antworte ich, heftig. Ich kapiere meine Armut nicht und dass ich morgen aus meiner Wohnung ausziehen müsste, weil ich kein Geld habe. Weiß doch jeder: Mit so einem Blog, als Aussätzige wie Harem oder Piratin verdient man nichts. Höchstens langfristig, ergänze ich kleinlaut. Wieder krachend: Das ist ein Scheißleben. Schon wieder schreie ich. Der Pusteblume ins Ohr. Ich bin sicher, den Overtone hat er längst ausgeblendet. So wie Rainer mich häufig gar nicht sieht. Augen verdreht, der Autist: Weg von solch materialistischen Menschen wie mich. So besonders viel weiß ich auch nicht, höre ich ihn wieder sagen. Ich glaube darin etwas Sanftes zu hören. Mildes. Du siehst ja an mir, fährt die Stimme fort, dass ich mit der Materie auch noch genug zu tun habe und die Schritte in diese andere Welt mir auch sehr schwer fallen. Pause. Was nützt mir dieses Eingeständnis? Kann ich die Miete davon bezahlen? Okay, es fühlt sich erstmal gut an, so meine Ängste herauszuballern. Aber die Taten, die müssen folgen. Weiß ich doch. Wie kann mein Altersleben mit Kleinstrente, etwas Staatlichem und längst abgelegter Lebensversicherung in schwierigen Zeiten überhaupt noch gelingen? Besorg dir ne Hütte in Thailand und verkaufe frittierte Bananen an Touristen, mault es in mir.

Nie so werden wie meine Mutter: Die klassische Versorgung einer Frau habe ich ausgelassen. Wie fast alle meiner Nach/Kriegsgeneration: Kein Mann, keine Kinder, höchstens eine Halbzeit-Karriere. Der Untergang des Abendlandes hatte begonnen und ich tanzte bereits mittendrin. Affentanz! Anders Großes, wo ich doch so gern alt-groß hinauf wollte. Den Oscar für einen Film. Oder zumindest halb groß, ein Häuscchen mit Garten? Ideologien lösten wir damals auf, die Rollenspiele der gegenseitigen Gewalt, Kunst und Krieg wurden abgesagt, um auf die Bühne des Eigentlichen zu treten. Nichts davon gelungen? Denn nun im Alter, noch dazu in der teuersten Stadt der Republik, hab ich den Salat! Mein erlittenes Leben der zweiten Hälfte hat dank der schwierigen Zeiten jede Besitzmaximierung vermieden, hat stattdessen auf ein Labor gesetzt, das ich mit vier weiteren Frauen und eben Rainer Langhans erfand. Ein richtiges Leben im falschen oder besser noch: Eine Reise mit der Frage aller Fragen. Wer bin ich? Also: Eine arme Kirchenmaus? Eine herrschsüchtige Königin? Streichen: Bettlerin! Die sich halbherzig durch die erste und vielleicht bisher einzige weibliche Kommune, die Außenstehende vor etwa 30 Jahren einen Harem nannten, jonglierte und aus Gründen der Einsamkeit und Sprachlosigkeit, sicher auch der elenden Eitelkeit wegen, zu den Piraten abbog und sich gerade in diesem Internet verheddert.

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All die quälenden Zwischenstationen einer Reise raus aus der alten Welt des gewalttätigen Konsums, einer trostlosen Besitzgesellschaft, der sinnlosen Machtspiele in Ehe und Karriere. Und jetzt werdet ihr sagen: Wieso jammert die dann? Ist doch alles wunderbar, wenn man nicht mehr im Hamsterrad am hässlichen Leben zu Grunde geht, dem verpassten. Oder gegen die Depression kleine feine Pillen schluckt. Natürlich habt ihr recht. Der Harem ist keine Notlösung, sondern DIE Chance. Ist community, Neuland. Behaupte ich einfach mal vollmundig. Sogar ein Modell, das schon viele leben, es nur nicht so richtig merken? Warum bin ich dann mit dem Harem nicht bei den Engeln gelandet, sondern in Teufelland? Sitze ich hier nölend auf meinem Futon und sehe den Wald vor Bäumen nicht? Während mein Konto chronisch leer ist, so viel kann ich erkennen, und das BGE für die Menschen einer neuen Welt politisch noch immer missverstanden und daher völlig ins Abseits trudelte. Selbst bei den Piraten ist der Plan einer Grundversorgung für unsere post turbokapitalistische Ära wieder in den Keller gerutscht.

Stöhnen, Kopfschmerzen. Okay, ich lebe in einer Endzeit und mit einem Zeh schon drüber. Wie wir alle. Während sich gerade gut sichtbar erfolgreiche Alt-Kings wie FS und etwas weniger radikal auch Schumi aus ihren Machtkreiseln verabschieden, bäumt sich in mir die alte Welt immer noch auf. Frauen sind zu doof für die Liebe, sie brauchen einen Mann. Als könnte ich meine Opfer-Existenz nicht loslassen: Er ist groß, ich klein, abwarten und Tee trinken, unkreativ zu leben. Statt kreativ, selbst-erfinderisch. Es ist also nicht nur für Macht-Männer schwer, umzusteigen aus der materialistischen Welt, wie wir sie kennen, in eine, von der niemand etwas weiß. Wenn ich von mir und meinen Sistas ausgehe, letztlich mutigen Frauen, die seit unseren gemeinsamen Anfängen in den Siebzigern viele alte Verbindlichkeiten ablegten, um Neues auszuprobieren, gerate ich in heftiges Schlingern. Hat Rainer recht und wir leben, ich lebe tatsächlich in einer schöneren weil liebevolleren Welt als je zuvor? Wenn die letzten Jahrzehnte als erste der Stunde Null so zäh verlaufen mussten, so langsam, so depressiv auch. Sicher: Manchmal auch aufregend und voller Freude. Also wenn ich mir die Ratgeberbücher in den Buchläden anschaue, die Bekenner-Sendungen, kurz: viel Mediales und die Menschen dazu, dann gerate ich ins Staunen. Überall Sinnsuche. Rainer hat recht und ich bin blind? Alles im Wandel? 1607119_520692311374039_912537362729904835_nWährend sich der Harem anfangs noch als Avantgarde durch ein besseres Leben kämpfen musste, sind diese Erfahrungen längst überall im Mainstream angekommen? I cant believe. Doch, alles wahr, Deutschland hat sich nach 1968 extrem verändert. Alles im Auf- und Abbruch: Kapitalismus trotz Vielbeschäftigung in Agonie, Europa schlingert, vermutlich die ganze Welt. Nur Frauen belieben Muttis. Oder fehlt mir nur der Blick für die Reise, auf der wir rutschen? Auch ich hab ihn mal wieder verloren, wenn ich ihn denn je hatte und verzweifle gestern, dass ich mir ein Kieser-Training nicht leisten kann. Während ich täglich zwischen Bäumen spazieren gehe, häufig an der Tischtennisplatte zu finden bin, einmal die Woche Tennis und Squash spiele – immer ziemlich gut vegetarisch ernährt. Okay, das Dankbarsein fällt mir schwer, das Beten auch, Meditieren sowieso, ganz besonders der Verzicht auf Süßes, sogar manchmal die Nähe zu einem Menschen, an den ich verschwenden könnte.

Eben las ich in der ZEIT, wie sich aus analog materialistischer Sicht das Leben junger Japaner anfühlt. Japan als Vorläufer zu uns/mir, dem was ein zärtlicheres Miteinander in seiner Negation andeuten könnte: Saturierte Industrienation, alles vorhanden, junge Männer, die mit 30 noch träge im Hotel Eltern wohnen und keine lukrativen Jobs mehr finden. Die aber auch gar nichts auf die Beine stellen: Diese Geldscheffelei scheinen sie nicht zu können und schon gar nicht zu wollen. Langweilig, zu wenig kommunikativ. Die jungen Japaner seien, wenn sie von ihren Laptops aufschauen, sprachlos, besonders gegenüber Frauen. Die wiederum auch nur abgemeldet irgendwelche Kosmetik veranstalten, um einen Partner zu erwischen. Das alte, ehrwürdige Japan ist tot, dieser wirtschaftsmächtige Vorreiter unserer Republik.

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In meinem Pessimismus fühlte ich mich ertappt: So wie diese fernöstlichen Mutanten bin ich, eigentlich nicht viel anders. Abgemeldet. Will aber zickig zurück ins Elend der alten Welt und kreische deshalb ein bisschen rum, neben Rainer. Ich fühle mich als Amputierte: Wie rede ich mit Menschen, wie mit mir, wie geht das virtuellere Leben, in das ich längst hinein spaziere. Es ausprobiere, während ich aus meinen veralteten Flausen schmerzlich herausfalle. Stille im Saal, auch bei uns im Harem, während draußen in den Münchner Biergärten die Sau tobt. Auch der WM-Fan: Ist er krank, slightly debil oder schon ein wenig bratend in der Hölle? Zu letzterem zähle ich so manche von den Jungen: Sie bewegen sich cool durch diese Langsamkeit neuer Alltage, während sie längst im Neuland hocken, mit der ganzen Welt virtuell verzahnt. Noch glauben sie: Liebevoll? Sie sind zu mir freundlich, lächeln, als ginge es ihnen viel besser. Rainer würde sagen: Allgemeine Zärtlichkeiten wie damals in der Kommune. Um hinzufügen: Liebe. Daraus schließe ich: Der Artikel mit seinem Blick auf die jungen Japaner ist sowas von Old School. Er ist aus den Augen von jemand Altem, eben Angeblödetem wie mir geschrieben. Seine schwarzen Kriterien stimmen so wenig wie meine. Warum sollten diese Jungen unsere alte, abgenutzte und so gewalttätige Welt wiederholen wollen? Sie sitzen vermutlich bei ihren Eltern nur scheinbar, nämlich als Attrappen, während sie die Hölle der Shitstorms als Neuland längst begeistert bereisen. Immer das Smartphone vor der Nase. Was habe ich vor meiner Nase? Heute mal wieder heftig: Alte Vorstellungen, längst ausgelutschte Wünsche. Hänge noch immer an einer halbwegs schönen Wohnung, Reisen in exotische Länder, mal wieder ein Auto, jemanden, der an mich glaubt – alles so’n Kram. Forget it! Ach ja: auch, dass man mich wichtig und interessant findet. Aufmerksamkeit. Besser und schöner als andere. Bestätigung von außen also, statt mich um Inneres zu kümmern. Geht’s noch? Würde meine Squash-Partnerin fragen. Und dabei ihre braunen Kulleraugen aufreißen. Geht’s noch? Mögest du… ja, ihr wisst schon. Kack-schwierige Zeiten…

REM: Its the end of the World as we know it…

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