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Christa Ritter's Blog

Ist das Böse weiblich?

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Warum habe ich 1978 meine hochtrabende Film-Ambition, ja den, wie ich mir erträumte, vermeintlich sicheren „Oscar“, links liegen lassen und bin zum Hohenzollernplatz gezogen? In ein kleines Apartment in der Nähe von diesem strengen, freudlosen Rainer? Eine krasse Kehrtwende, die mir auch Angst machte. Als spürte ich, etwas ganz Anderes wird meine Chance werden. Später habe ich diesen radikalen Turn scheinbar unrealistisch gedeutet: Rainer hatte einen spirituellen Meister gefunden, also wollte ich so etwas wie heilig werden. Unter großartig durfte es bei mir nicht sein. Stimmte aber nicht! Wenn ich nämlich heute diesen bisher radikalsten Schritt raus aus meiner Großfrausucht nach Anerkennung, bis zu meiner vielleicht möglichen Selbstentdeckung eines inneren Weges zu deuten versuche, sieht das Bild anders aus.

Rainer könnte eine Tür ins Wesentliche öffnen, so meine Ahnung. Der Anfang: Zurückgezogen leben, außen bescheiden. Um mich weitere Frauen, schöne, kluge.  Irgendwie war ich zuvor im ersten Drittel meiner Vita dank einer tiefen Verweigerung in, wie ich fand, viel zu kleinen Erfolgen stecken geblieben: Durch Nichthinhören, Draufhauen anderer, dahinter mich. Liebe, nirgendwo. Die Welt war mir unheimlich, drohte sogar: Sie, der Mann war an allem schuld. Frauenbewegung, Therapie, ein Guru, all dies berührte meine Kälte nicht. Ich sah noch nicht mal, dass ich auf so oberflächliche Weise in einem Opferstatus stagnierte. Aber mit Rainer und den Frauen, so wurde bald klar, würde ich mich meinem Unbekannten stellen müssen. Das machte mir Angst, Rainer machte mir Angst.

Mit seinem Vorsitz übten wir Frauen uns bald in höheren Erkundungen, um ziemlich schnell dort zu landen, wovor ich mich fürchtete. Vor den Gatekeepern jeden Heiligwerdens, dem mir total unbewussten Leichenkeller von Frauen. Von uns Frauen, von mir! Dort, wo wir nur heimliche Täterinnen sind. Verstörend dieses düstere Terrain und wir schrien auf. Schnell war Rainer schuld, war er derjenige, der uns das leichtere Leben vermasselte. Obwohl er uns dann irgendwie immer ermutigte: Bleibt dran! Da kämen wir durch.

Unsere Leichen, bisher bestens in raffinierten Verstecken verborgen, hatten unterschiedliche Fratzen: Gefallsucht, was fast jeden Mann betraf, Eifersucht, wen angeblich Rainer wieder favorisierte, Gier nach Anerkennung, als Frauen-Körper ganz selbstverständlich, mitten im rauen Hyänenkrieg von uns Rivalinnen. Du Feldwebel, du Riefenstahl, ätzten damals meine Sistas. Hart gesagt: Lautes Herrschen und Dominieren, immer die Auserwählte sein zu müssen, stellte sich bedrohlich als mein Zwang dar. Als meine Form von Faschismus, der Freundschaft, gar Liebe schon immer verhindert hatte. Schwere Kost! Wir schenkten uns nichts. Schritt um Schritt wurde so immer wieder unser mächtiger Täter-Abgrund auf hässlichste Weise sichtbar.

Jede von uns ist dann entsetzt vor der eigenen Hölle zurückgewichen und wieder in die alte Komfortzone getürmt. Dorthin, wo es wieder schön warm war. Auslöser für das ausdrücklichste Retour entpuppte sich vielleicht unsere „Big Brother“-artige Doku-Soap, die uns 2 Wochen lang mit 9 Kameras rund um die Uhr auf einem kleinen TV-Sender als gar nicht nette Frauen beobachtete. Sogar dort hatten wir uns mutig ziemlich nackt gezeigt, vielleicht zu früh. Nur sehr fortgeschrittene Zuschauer verstanden den bahnbrechenden, positiven Hintergrund. Frau nicht nur schön, auch hässlich, damit ansatzweise Mensch.

Wir zogen uns schnell wieder zurück, übten bald vorsichtiger in kleineren Schritten. Ein Schritt vor, zwei zurück. Die Terroristin, ja die Faschistin in mir ließ nicht locker: Ich bin unschlagbar und verlange gebauchpinselt zu werden. Den Oscar! Gab’s natürlich nicht und diese Löwin war schwerstens beleidigt, ist es bis heute. Das Neuland, eine selbstbestimmte Frau zu werden, schien weit weg zu sein.

Nichts passiert? Obwohl ich dranblieb? Jedenfalls tauchte jede von uns Frauen nicht ganz ab, musste sich damit abfinden, wie schwer und lang dieser Weg aus dem eigenen Gefängnis ist.  Auch ich bleibe mit der eigenen, persönlichen Odyssee beschäftigt. Nabelschau, nennen es manche. Immer noch oft unerträglich düster, dann wieder doch irgendwo ein kleines Licht. Meine Angst vor Rainer hat abgenommen. Inzwischen kann ich ihn schon milder sehen, bin sogar dankbar für manchen Nackenschlag. Erinnern, wiederholen, durcharbeiten. Wir sind alle auf dem Weg? Rainer sieht das Netz als ein Tool, durch das wir uns alle stellen können. Diesen schwärzesten Ecken. Auch Frauen, wenn sie denn den bequemen Opfermodus knacken wollen. Denn die Schrecken, so ahnen vielleicht in diesen Zeiten immer mehr von uns, sie sind nicht woanders, nicht in Afrika, nicht bei Trump, nicht bei irgendeinem Fremden, sie sind in dir. Oder bei mir: Ich mache also mit Unmöglichem weiter, wie ihr auch und ab und zu treffen wir uns. Im Internet?

Zum Thema: Ester Vilar hat vor 50 Jahren über die versteckte Täterin das Buch „Der dressierte Mann“ geschrieben. Dafür wurde sie von den Opfer-Feministinnen sogar einmal tätlich angegriffen, fast geteert. Um schließlich in die Schweiz auszuwandern. Und vor zwei Wochen erschien in der SZ ein Interview mit der Psychoanalytikerin und forensischen Gutachterin Hanna Ziegert. Es trug den Titel „Mütter“. Lesenswert! Sie hat die verborgene Täter-Seite der Frau beruflich erkundet, aber auch bei sich selbst, der Mutter, hinter die Fassade geschaut. Ausführliche Fälle in ihrem Buch: „Die Schuldigen“. Auf seiner Rückseite leuchtet mir dick und rot die Frage entgegen: Ist das Böse weiblich?

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