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Christa Ritter's Blog

Langsam wie Schildkröten

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Montag 18. März 2013

In dieser ersten Woche zurück an diesem winterlichen Ort habe ich mich immer wieder in meinem warmen Bett verkrochen. Und das hat mir gut getan! Langsam stecke ich die Nase wieder raus und taste hier und dort. Was mache ich jetzt, nach dieser besonderen Erfahrung? Ein Buch schreiben? Mein Buch weiter schreiben? Die Piraten trösten? Ich weiß es nicht und das fängt an, mich kirre zu machen. Wirst du Geduld haben, sag ich mir, es wird sich zeigen. Diese Fragen umkreise ich auch mit der Eröffnung unserer Tischtennis-Saison (hat Spaß gemacht) gestern am heiligen Sonntag. Oder mit einem Ausflug per Fahrrad heute Morgen im Nieselregen zum Passamt. Auf dem Rückweg halte ich bei einem Internet-Café mit Kopierer. Der Mann sagt als Erstes: Wissen Sie, wen ich liebe? Ich, etwas erstaunt: Nee. Der Mann: Ich liebe Adolf Hitler, ich bin Iraker und seit zehn Jahren in München. Ich: Warum, das mit Hitler? Der Mann: Der hat den Deutschen so viel gebracht, der wollte eine neue Welt! Ich: Und die Deutschen wurden dafür zu Mördern, die Millionen umbrachten. Der Mann: Das ist so, wenn man was Neues will. Im Irak sind auch Millionen gestorben. Dann hat er mich angelächelt, an seiner Zigarette gezogen, mir den Rauch ins Gesicht geblasen und auf seinem kleinen Kopierer für mich ein paar Kopien gemacht. Zwei hat er falsch kopiert. Er hat mir nicht zugehört?.

Ich habe in dieser ersten Woche zurück nicht nur im warmen Bett geschlafen. Es gab auch wieder heftige Auseinandersetzungen unter uns Frauen. Schon wieder? Ja, die Reise ist noch nicht abgearbeitet. Hinter der Oberfläche solcher Szenen wird immer wieder klar: Auch nach langer Übung kommt es kaum vor, dass wir in der Lage sind, untereinander zu diskutieren statt zu schreien, Kritik oder Verhandeln zuzulassen, für sich Verantwortung zu übernehmen. Wir trollen! Manchmal gelingt dieses Nicht-Opfersein im Einzelgespräch mit Rainer, allerdings unter uns Frauen fast nie. Nach frauenbewegtem Aufbruch und weiteren 35 Jahren Übung immer noch: Du hast, du bist, der hat, Telefonhörer aufschmeißen, sich vergraben, Wunden lecken. Ich rechne mal hoch: Alle Frauen fahren immer noch auf der Opferschiene. Die alte Eva scheint nicht loslassen zu wollen und delegiert ihre Verantwortung weitgehend nach wie vor an den Mann, die Gesellschaft, den Staat. Okay, tun auch viele Männer und es sind die Piraten, die dieses System der fremden Autoritäten/Institutionen in eine Demokratie des Common verändern wollen und selbst in ihren Shitstorms fast daran verglühen. Aber ich erfahre es so: Wir Frauen geben noch nicht einmal öffentlich zu, dass wir dieses Problem haben. Als wollten wir dieses Geheimnis nicht mal vor uns selbst lüften. Ist ja auch traurig, nach so langen Jahrzehnten der Neufrau-Werdung. Aber zu diesem Problem öffentlich zu stehen, schon das täte uns gut. Aber die selbst inszenierte (!) Entmündigung durch das Patriarchat, Eva’s Schattenrolle, steckt tief in unseren Knochen und bewegt sich von dort aus offenbar kaum in die Höhen der Wünsche nach wirklicher Selbstachtung. Dafür haben wir Frauen um Rainer uns ursprünglich zusammen getan, war also unser Lebenslabor Harem vor allem gedacht.

Schnee weg, Sonne da, Jutta gerade gegangen, Gisela im Jetlag-Schlaf

Schnee weg, Sonne da, Jutta gerade gegangen, Gisela im Jetlag-Schlaf

Ein Beispiel: die Sexismus-Debatte der letzten Wochen. Vielleicht sollte ich dazu hier schweigen, denn ich habe diese Debatte in Indien nicht wirklich verfolgen können. Das Thema ist mir dennoch vertraut. Siehe oben. It takes two to tango! Heißt es nicht so? Wir Frauen signalisieren, oft unbewusst, schematisch, konditioniert Eros oder Sex und wundern uns, was vom Mann zurück kommt. Die alte Welt solch mächtiger Rollenspiele engt uns zwar schon lange ein, aber ohne sie, wer sind wir dann? Viel Arbeit, ja! Ich erinnere mich sehr gut an meine ersten Machtspiele während der Pubertät. Damals entdeckte ich, welche Aufmerksamkeit ich über meine wachsenden, ersten Körperformen und ihrer Betonung bei Männern gewinnen konnte: Make-Up, Klamotten, Haar-Style, Blicke. Diese ganze Körpersprache, die von da an meine Identität auch im Beruf ausmachte. Ohne, dass mir dabei nicht nur meine Signale, sondern auch die Abhängigkeit der Männer wirklich bewusst wurde. Man kann sich als Frau hochschlafen, man kann flirten, den Boss heiraten oder auch nur Freunde manipulieren. Solange die Körper im Einsatz sind, laufen die Geschäfte auch der neuen Frauen um Erfolg und Karriere sehr gut. Und wie würde das als ein anderes, freieres Spiel aussehen? Die Piraten bieten ein Modell, das mir gut gefällt. Denn es hebt tendenziell Geschlecht und Alter auf, weil es aus der Erfahrung im Netz stammt. Im Internet siehst du den anderen erstmal nicht als Körper, sondern du nimmst eher seinen Geist wahr. Das Gegenüber kann daher zwischen beiden Geschlechtern wechseln, kann auch alt oder jung, kann also zeitenlos sein. Ein Fortschritt!

Ich schweife ab vom Problem des weiblichen Opferspiels. An das, wie alle Frauen wissen, auch die meisten Männer glauben. In der alten Welt gilt nämlich noch immer das Bild: Frauen sind schwach, Männer stark. Muskel-orientiert. Dass Frauen anders mächtig sind als Männer, nämlich im Beziehungsclinch die Leinen nicht locker lassen und darüber lieber nicht nachdenken, schon gar nicht Verantwortung übernehmen, ständig weiter zicken, das ist etwas, woran wir (siehe oben) mal wieder in der ersten Woche hier in München fast verzweifelt sind. Ob sich daran je etwas ändern wird? Ich glaube, wir haben es geschafft, darüber wenigstens unter uns offen zu reden und jede sich persönlich wie eine Schildkröte ein paar Millimeter zu bewegen. So könnte es passieren, dass wir Frauen uns mit unserem gnadenlos kritischen Freidenker heute doch endlich zum ersten Mal zu einer gemeinsamen Bilanz treffen. Sicher werden wieder die Fetzen fliegen: Nein, du…! Ich berichte davon.

 

2 Kommentare

  1. Ich danke Dir für den kurzen Seximus-Exkurs! Auch wenn Du in Indien warst, kannst Du Dir trotzdem Deine eigene Meinung dazu bilden, denn Du bist, um wieder auf die geschlechtliche Rolle zurückzukommen, immer noch eine Frau und weißt was Dich bewegt! Liebe Grüße

  2. liest sich nett, zeigt aber nicht, worum denn da unter euch gestritten wurde – was ist das objekt des streitens – das sollte auch da stehen, sonst wundert der leser oder die leserin sich nur die ganze zeit … oder????

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