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Christa Ritter's Blog

Sich hinter der Opferrolle als Täterin entdecken

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Zwischen den meditativen Phasen hier am Meer immer wieder kurze, wichtige Gespräche. Zum Beispiel, etwas verallgemeinert, aber jeweils mit dem eigenen Leben zu vergleichen: Vielleicht höchstens 20 % der Frauen sind Feministinnen, der Rest andere, sagt einer. Wir fahren gerade durch grüne, weil hier im Süden Sardiniens sommerlich beregnete Landschaft. Daraufhin: Was will die Frau? Wieso, wollen die meisten Frauen keine Veränderung, nur Feministinnen? Ich hab’s lange so wahrgenommen, daher frage ich. Genauer gesagt: Bis jetzt. In meinen Zellen nach wie vor verachtete Weiblichkeit. Und auch wieder nicht. In meinem Kopf rasselt es: Ja, ich gehörte damals zu den Frauen, die die Männer als Verursacher dieser ungerechten Welt sah. Ich war nach 68 eine Opferfeministin, so wie noch heute alle Feministinnen, in der #metoo Debatte gut zu sehen. Irrtum. Die Frage bleibt daher: Wann und wie ermächtigt sich eine Frau zu sich selbst?

Ich bin vor 40 Jahren mit meinem Opferfeminismus also nicht weit gekommen. Ratlosigkeit, Versuche, bald Depression. Ich war vor die Wand gefahren. Meine Rettung, so schien mir damals, war dieser suchende Kommunarde Rainer und die Frauen um ihn. Eine weibliche Kommune, später wurden wir „Harem“ genannt. Mein Labor, mich als Frau von mir als Opfer zu befreien. Wenn es denn so einfach gewesen wäre. Es ist bis heute ein schwerer Gang durch ungeheure Widerstände in Richtung Freiheit. Meine Widerstände! Mich dominierte weiter, ich spüre, immerhin viel weniger als früher, der Mann, auch der in meiner Nähe, dieser wichtige Sucher. Verrückt, nicht? Einmal Opfer, immer Opfer?

Damals ahnte ich nicht mehr als Konfuses, das mein Weg werden sollte: Irgendwie müsste es doch einen weiblichen Menschen in mir geben, der nicht nur aus äußerer „Bestimmung“ gebaut ist. Eltern, Gesellschaft, Frau in zweiter Reihe. Wollen in die Freiheit der weiblichen Authentizität also vor allem diese vielen Frauen der Welt, diese Mehrheit? Das überall in der Welt verachtete, weil unbewusste Weibliche in die Bewusstheit erheben? Ist der Feminismus bisher auf dem falschen Weg? Egal: War er jedenfalls für mich! Raus aus diesem klebrigen, kraftlosen Opferstatus und dieser Weg dauert bis heute so schmerzhaft an. Als stünde ich vor einer schweren Tür, die ich aufstemmen müsste. In Wirklichkeit ist sie längst offen?

Wir wohnen hier in Sardinien nämlich wie in jedem der letzten Jahre ungewohnt eng beieinander. Zuhause ist es anders: Ich in meiner eigenen Wohnung, jede in ihrer. Hier stößt mich die Nähe wieder auf Klartext, soll sie mich stoßen: In der Selbsterfindung kracht es. Nun bereits nach den ersten fünf Tagen. Der Nachbar, die andere, alles plötzlich feindlich. Nicht nur, aber immer wieder. Was will die Frau? So lautet nun überdeutlich für mich die Frage aller Fragen, während wir auf unserer Fahrt inzwischen am Obststand der Bäuerin angekommen sind. Zunächst: Feministinnen als Verdrängung des Weiblichen. Sie wollten gleiches Geld, gleiche Positionen wie die Männer. Auch ich. Dafür war ich bereit, das klassische Terrain aufzugeben: Beziehung, Ehe, Kinder, Familie, Sex. Teile davon nur noch viertelherzig durchlaufen. Sackgasse! Daher meine Depression, alles falsch! Die Frau will eine authentisch weibliche Welt? Wie könnte die aussehen? Häuslicher, also introvertierter, mehr erst Schauen, dann Handeln, ein bisschen mehr Merkel, bis heute mit ihrem „Aussitzen“ missverstanden? Geht es eher darum, das Weibliche nicht feministisch zu verachten, sondern sich bewusst zu erobern und damit die eigene Welt? Um als Frau ein Mensch zu werden?

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