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Christa Ritter's Blog

Styx No. 6 – Katharsis in Indien

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Ein Leser mit dem Abkürzler E.K. kommentiert auf Amazon:

Dieses Buch gibt einen interessanten Einblick in die Denk- und Gefühlswelt einer Gruppe von Alt-68ern. Es sind damit nicht jene einstigen Kommunisten und Streetfighter gemeint, die später durch die Institutionen wanderten, Posten in Medien und Politik besetzten, und heute mit Ehrendoktorwürde, sattem Bankkonto und dem Rotweinglas in der Hand selbstgerecht von den eigenen Jugendsünden berichten. In STYX ist vom sanfteren Part der 68er die Rede, von jenen einstigen Hippies, die die späten 60er Jahre als Erlösung empfanden, sogar als die fast schon religiöse Ausschüttung eines Geistes der Liebe. Das Buch handelt dabei vom Altwerden dieser einstmals bewegten Jugend, von den offenbar lebenslangen Problemen, sich in der gesellschaftlichen Realität zurechtzufinden. Christa Ritter beschreibt diese ungelösten Prozesse mit einer Ernsthaftigkeit, einem Hadern am eigenen Selbst, einer Verzweiflung am Leben, die später Geborenen womöglich fremd erscheinen dürfte: „Denn alles muss raus! Motto: Bei uns werden keine Zärtlichkeiten ausgetauscht, sondern Grobheiten. Denn wenn eine Frau ins Himmelreich will, muss auch sie durch die Hölle gehen. Sterben lernen der Liebe wegen. Oder so.“

Jutta und Rainer in Delhi

Jutta und Rainer in Delhi

Konkret handelt das Buch von einer Indien-Reise des Alt-68ers Rainer Langhans mit mehreren Frauen seines „Harems“ im Jahr 2013. Eine der Frauen ist an Krebs erkrankt, und so soll die Reise einer spirituellen Selbstvergewisserung angesichts des nahenden Todes dienen: „Rainer schien jedenfalls zu wissen, dass Selbsterkenntnis die Liebe bedeutet, die immer in dir anfangen muss, bevor du einen anderen Menschen lieben kannst.“ Doch die Reise durch viele Teile des indischen Subkontinents läuft keinesfalls immer friedlich und harmonisch ab. Es gibt Streit, es wird aufgejault, von Angst und der Sehnsucht nach Liebe erzählt. Es geht ums eigene Erwachsenwerden und seelische Höllenfahrten, die scheinbar als Katharsis dienen sollen. Rainer Langhans hält manche verbale Wurst hin, und sofort scheinen Pawlowsche Reflexe bei seinen Frauen einzusetzen. Offenbar ist man über die gemeinsamen Jahrzehnte gut eingespielt.
Man kann diese emotionalen Befindlichkeiten berührend oder befremdend finden. Auch muss man keinesfalls alle in dem Buch getätigten Stellungnahmen zur deutschen Geschichte oder zur Politik teilen, etwa die arg romantische Vorstellung, unser Land würde sich seit 1968 „zu einer einzigen Großfamilie“ entwickeln, wo doch in Wirklichkeit eher Vereinzelungs- und Vermassungstendenzen (was kein Widerspruch ist, sondern einander bedingt) wahrnehmbar sind. Dennoch ist STYX anregend geschrieben, kann emotional ansprechen und ist vor allem ein sehr interessantes Zeitzeugnis mit manch nachdenkenswerten Äußerungen.

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