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Christa Ritter's Blog

Varanasi: Shiva-Nagari

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Dienstag 29. Januar 2013

Ihr müßt wissen: Das Internet hier schwankt, selten reichen die Verbindungen, um es jederzeit nutzen zu können. Gestern Nacht gegen 23 Uhr sind wir nach einer vorherigen Nacht im sterilen, weil neu gebauten Hotel Central Regency und einem Tag Varanasi in einer Art Karawanserei gelandet. Dem Hotel „Temple on Ganges“:Indien V 062Einer klassisch indischen, mit eigenwilliger elektrischer Versorgung (in den billigen Zimmern fast keine). Aber hoch oben mit großem Roofgarden, overlooking den Ganges und nicht weit weg von uns im Winterdunst die berühmten Ghats, wo gebetet, gebettelt und verbrannt wird.

Blick vom Dachgarten auf den Ganges

Blick vom Dachgarten auf den Ganges

Das Ufer gegenüber hat einen breiten Sandbelt, der während der Monsoon-Zeit geflutet wird. Jetzt im Winter sieht man darauf vereinzelte Wanderer oder Karawanen. Varanasi ist die Stadt Shivas und mit  etwa 5000 Jahren eine der ältesten Städte der Welt, der Hindus Indiens heiligste Stadt. Hierhin pilgern sie. Wenn man hier an den Ghats, im Schosse der Mutter Ganges, verbrannt wird, so der Glaube, hat man gute Chancen, dass der Kreislauf der schmerzhaften Wiedergeburten endlich beendet und man vom Ego erlöst ist. Man wird nicht mehr wiedergeboren.

Ein Priester zelebriert die Puja

Ein Priester zelebriert die Puja

Wir wollten gestern schnell weg aus diesem touristischen Anlauf, jenem modernen Hotel im Vorort der Hölle, ziemlich weit außerhalb des Zentrums gelegen. Eigentlich bestand der mühsam zu durchleidende Anlauf zu den Ghats nur aus 2 km Lehmstraße durch die engsten Häuser und Hütten des Stadtkerns, der sich aber(gefühlt) zu einer unabsehbaren Odyssee durch die Splatter der Epochen mauserte. Nicht jeden Tag erneut zu bewältigen! Gestern Morgen blieb Brigitte mit Hexenschuss erschöpft im Bett liegen. Für uns andere dagegen begann um 11. 46 Uhr Ortszeit in den zwei Tuck-Tucks unsere Höllenfahrt durch die engen Straßen einer Stadt, die aus Altersgründen eng und schmal, dieser Auto-Misierung der explodierenden Menschenmassen nur ächzend gewachsen ist. In beiden Vehikeln saßen wir überbesetzt, in meinem einer vorn neben dem Fahrer fast auf der Gangschaltung, drei hinten auf der Sitzbank, die für zwei gebaut ist. Klar, alle Inder fahren überbesetzt. Dann fuhren wir durch Fußgänger, spielende Kinder, Babies auf den Armen ihrer Mütter, Ochsenkarren, Hunde (viele!), Taxis, LKWs (oft in die Höhe mit Warenballen überladen), Fahrrädern, Motorräder, Fahrradrikschas, Busse, von rechts nach links einbiegend, überquerend, rückwärts als Geisterfahrer, dazwischen Bettler, die uns ihre Hände entgegen streckten, Schulkinder in ihren Uniformen, die uns anlachten oder neugierig entdeckten, zwei Polizisten sprangen plötzlich auf den Schoß unseres Fahrers (so mitzufahren ist verboten!), im Sprung checkte der eine, dass dort auf der Gangschaltung schon jemand von uns saß, er drehte sich schnell geschickt zur Seite und landete grimmig zurück auf der Straße. Und dabei ständig lautes Hupen von allen Seiten. Puh! Did you see this? Balwinder asked. Yes we did! Kung Fu in Varanasi.

Alles ist schön-bunt: auch die Tuck-Tucks

Alles ist schön-bunt: auch die Tuck-Tucks

Wir rangen danach nach Luft, starrten entgeistert unsere beiden Tuck-Tucks hinterher, die sich langsam entfernten, als wäre nichts gewesen. War auch nicht: Nur ein kurzer Eindruck vom Alltag in Varanasi.

Das Café Aum, wo wir frühstücken wollten, war geschlossen. Montag, oft kein guter Tag für Hungrige. Wir hatten eben überlebt und waren plötzlich sehr glücklich.  Wir schlenderten an den Händlern vorbei, hinüber zu friedlich meditierenden Kühen und entdeckten dahinter den „Temple“, stiegen hinauf und verbrachten dort oben bei leichter Brise und viel Abstand zur „Hölle“ fast den ganzen Nachmittag.

Unser Hotel am Tag

Unser Hotel am Tag

Auf unseren Tisch trug man recht gut schmeckende, aber wenigstens nicht zu fette Papadams, Dals und Paneers auf, dazu Lemonjuice und wieder diesen wunderbaren Chai, den ich immer trinken könnte. Zumindest in Indien. Stundenlang gekocht mit Zucker und Milch.

Der Ganges im Dunst

Der Ganges im Dunst

Ich versuchte, den Ganges und seine mystische Bedeutung auf mich wirken zu lassen, bis mich zwei Reisende aus Hamburg ansprachen: Uscha und Holger. Sie sind erfahrene Indien-Reisende und gaben manchen Tipp. Gut gestimmt eröffneten wir unsere erste runde gemeinsame Tafel. Es war klar: Hier gehen wir so schnell nicht mehr weg. So entschieden wir uns, abends, wenn die Straßen leerer werden, umzuziehen und hier die ganze geplante Woche zu bleiben. Zwei Tage davon würden wir einen Abstecher nach Allahabad zur Kumbh Mela (170 km entfernt) machen. Abends müssten wir so schnell wie möglich die Hotels regeln und unser nicht unerhebliches Gepäck holen. Das war dann doch eine ziemliche Action, auch Brigitte noch kaum gehfähig. Gerade als wir uns und alles andere im Taxibus verstauten, zog an uns ein Hochzeitszug vorbei. Bunt funkelnde Lichter,  Trompeten und Trommeln und in der Mitte der Bräutigam zu Schimmel, in prächtig aussehender weißer Uniform mit Strass besetzt, auf dem Weg zu seiner Braut. So heiraten nachts die Hindus, sagte Balwinder, auch die, die nicht besonders wohlhabend sind.

Die Horror-Nächte unter uns Eigenbrödlern scheinen kein Ende zu nehmen. Diesmal bezogen Rainer und Jutta ein Doppelzimmer, Brigitte musste zu mir, der Schnarcherin, die heftige Hustenanfällt (immer noch erkältet) ab und zu aufführte. Was bedeutet nur, dass ich weiterhin huste? Versuche ich damit, das chaotische, staubige Indien wegzuhusten? Und Brigitte hört nachts sogar ein Staubkorn fallen. Sie trug Ohrstöpsel, meine Decke war zu dünn, draußen sangen die Hunde im Chor: Morgens zog Brigitte ohne jede Diskussion in eins der wenigen freien Zimmer und bestand auf Einzel. Der ganze Vormittag beschäftigte uns (Rainer und Jutta durften sich raushalten und auf der Dachterrasse meditieren) die Organisation der Zimmer für die kommende Nacht. Unser neues Hotel scheint unter westlichen Reisenden sehr beliebt zu sein. Schließlich landete ich in der Präsidenten-Suite

meine Suite

meine Suite

mit View auf den Ganges und der, so glaube ich, einzigen Badewanne im Hause. Brigitte war schon seit gestern Abend in heftige Eifersuchtsgefühle abgetaucht und vereiste zusehends, wir litten mit. Alte Verlassensängste melden sich, eh du es merkst, hängst du mitten im schwarzen Loch, etwas schreit auf und will dann als Einzige geliebt werden. Niemand anderer, keine dieser Schlampen, war doch jahrelang Lieblingsfrau, jetzt beachtet mich Rainer nicht mehr usw. Schwer auszuhalten, wenn das Elend der Welt einem an diesem heiligen Ort auch noch so unverschämt nahe rückt. Kein Entkommen, keine Gnade, das Jaulen übertönt plötzlich alle weiteren Gefühle. Jutta, Brigitte und Rainer hatten dann ein Gespräch darüber, das etwas Licht zuließ. In der einsetzenden Dunkelheit haben dann noch einen langen Spaziergang an den Ghats entlang gemacht.

Das Zelt eines  Sadus

Das Zelt eines Sadus

Umhüllt von der Stille am Fluss, von Nebelschwaden, gegenüber das sandige Ufer, versöhnlich. Je dunkler es wurde, umso mehr fühlte ich mich in das Mittelalter versetzt und diese Christa aus München schien sich aufzulösen.

Über hohe Stufen zum Tempel

Über hohe Stufen zum Tempel

Dann wieder Neugier: Ich versuchte in den drei brennenden Holztürmen Schemen der Leichen wahrzunehmen, mich dieser besonderen Energie dort unten zwischen den Menschen zu öffnen, dem Priester bei seiner Pujah zuzuhören, mit Hör-Schwenk zu den Trommlern oben am Tempel, während unablässig die Boote im Dunst vorbei schwebten, dazwischen kleine Pappschalen mit Blume und Kerze als Schiffchen ins Jenseits.

Leichen-Verbrennung

Leichen-Verbrennung

Lichtbötchen, die die Götter besänftigen sollen? Barken in die Anderswelt, der eigentlichen? Anschließend haben wir in einem alten, gepflegten, gar nicht überkandidelten Hotel aus den Zeiten der Kolonialen, das geschmackvoll mit schönen antiken Figuren und Bildern in seinen verwinkelten Terrassengängen und Gästezimmern dekoriert war, besonders gut getafelt.

Jutta auf der Terrasse

Jutta auf der Terrasse

Wir hungrigen Beladenen, die sich morgen schon um 9.30 h zum Frühstück treffen wollen… ob ich mir zu dieser späten Stunde noch ein Bad gönne?

Christa auf der Terrasse

Christa auf der Terrasse

Mittwoch, 30. Januar 2013

Heute ist es wärmer als all die Tage zuvor. Mir geht’s dadurch besser. Auf dem Weg zum Frühstück lassen Brigitte und ich uns von einem der vielen „Marktschreier“, die nicht aufdringlich sind, in seinen Laden locken. Eigentlich war es seine goldbraune Seidenkurta, die draußen hing und Brigitte gut gefiel. Es dauerte nicht lang und die Männer hatten vor und neben uns die schönsten Jacken, Schals und Hemden ausgebreitet: alles reine Qualitäten. Baumwolle, Wolle, Seide, Rohseide, Cashmere… Ich kaufte eine schwarze, gefütterte Wollweste für den Norden, außerdem eine weinrote Thai-Jacke, recht dünn. Überhaupt: Die heilige Farbe Rot schillert überall  in allen Variationen. Einige von uns frühstückten dann zwischen Dahlien und Cosmea auf der Terrasse des Kolonial-Hotel: a la English. Toast, butter & jam, Joghurt mit Früchten, Kaffee und Tea. Damit wir unserem anschließenden Walk on the Wild Side gewachsen sind. Durch unvorstellbares Gewühl und enge Gassen, Motorräder und Rikschas neben uns, auf dem Weg zum Hanuman-Tempel. Das ist dieser Affengott. Und tatsächlich tummelten sich am Tempel ganze Affenfamilien. Jutta und ich pinselten uns gegenseitig Hanuman’s oranges Zeichen zwischen unsere Zornfalten. Um uns studierten Gläubige die Schriften, andere machten ein Picknick oder umrundeten den mit Graffiti bemalten Tempel. Indien V 007Am späten Nachmittag verteilten wir uns in zwei Boote und ließen die Ghats vom Ganges aus auf uns wirken. Dunst, gleitende Boote, sich durch Untertauchen reinigende Menschen. Dieses Indien schien mir zeigen zu wollen: Das irdische, materialistische Leben im Westen, die vielen Versuche von mir/uns, ein Stück weit in eine innere Welt zu finden, haben kaum Veränderung gebracht. Ich blieb in einem Leben als „Tourist“ gefangen. Oder Konsumist? Keine Antwort auf die Frage „wer bin ich?“. Vielleicht hatte ich diese Frage nie wirklich ernsthaft gestellt.

Wer bin ich?

Wer bin ich?

Und dann stiegen wir aus den Booten, gingen an den Feuern vorbei, ins Dunkel. Hier sind Straßen, Wege und Bürgersteige voller Löcher, Ritzen, uneben, geflickt. Dazwischen Stufen. Brigitte verpasste eine Stufe, trat ins Nichts und hatte sich den rechten Fuß umgeknickt. Oder eine Sehne gezerrt. Jedenfalls tat ihr der Fuß so weh, dass sie nur noch auf uns gestützt ins Hotel humpeln konnte. Jetzt liegt sie, ihr Fuß von Jutta geschient und mit Eis umwickelt, in ihrem Zimmer und wird morgen nicht mit uns zur Kumbh Mela fahren können.

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