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Christa Ritter's Blog

Was ist mit den Rechten los?

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Überall sterben täglich Menschen, viele Menschen, so rede ich daher, etwas kopflos, zynisch könnte man meinen, als ich Gisela bei ihrem Frühstück störe. Gestern #Halle, Nachrichten, später Illner und Lanz. Wir erleben gerade zwei Tote in Halle und die deutschen Medien stehen Kopf. Verrückt nicht? Das hätte ich ganz und gar nicht sagen sollen. Gisela reagiert entsprechend aufgebracht: Die Deutschen haben nichts gelernt, alles Nazis, diese Ossis spinnen doch.

Das Gespräch mit Gisela ging nicht weiter. Ich fand mich mit meiner Bemerkung irgendwie daneben und doch auch wieder nicht. Zu kompliziert. Next day, next try: Unser Hauspark, an meiner Seite Rainer. Du hast schon recht. Diese Verunsicherung überall, die Angst, entsprechende Überreaktionen der Medien. Rainer hatte die beiden TV-Diskussionen auch gesehen. Was mich doch erstaunt hat, so Rainer, war die Ratlosigkeit. Niemand in den Runden habe eine Idee gehabt, was jetzt zu tun sei. Gegen rechts, präventiv, was da überhaupt in solchen Köpfen tobt. Mit diesen Faschisten ins Gespräch zu kommen, sie also abholen, wie es so schön heißt? Mir fällt nur ein: Die finde ich grauenhaft, diese Glatzköppe, Ossis verstehe ich sowieso nicht. Rainer eher emotionslos: Mit diesen Ossis kommt uns der Faschismus sehr nah und wir werden bald merken, das dürfte auch der unsrige sein. Nicht nur der von ein paar Abgehängten, sondern der auch von uns, von Normalos, den Demokraten, den Linken und Neoliberalen.

Wir alle merken also, dass unser bisheriges Lebenskonzept nicht mehr reicht, werfe ich ein. Deshalb marschieren wir aber nicht brüllend durch die Straßen, erschießen Juden und hassen jeden Flüchtling. Hier im spätherbstlichen Park von Schwabing: Friede ist mit uns! Vereinzelt sitzt jemand auf einer Bank, auf dem Spielplatz ist fröhliche Action angesagt, noch viel mehr Gerenne auf der Fußballwiese. Manche lesen im Gras oder sonnen sich. Und diese Oberfläche soll nur Trug und Schein sein? Dahinter wie eh und je Hass und Mordlust?

Warum gerade die Ossis? Warum schreien gerade die, die doch dankbar sein könnten, jedenfalls viele von ihnen, so voller Hass gegen alles an, während „wir“ in Berlin und München ganz cool in den Cafés unsere Smoothies trinken? Man müsse sie mitnehmen, irgendwo abholen, so heißt es immer wieder. Außerdem gäbe es auch Militante in Wessiland, zum Beispiel im Ruhrpott. Rainer weiter: Diese Ossis seien nicht undankbar. Sie spürten aber als Erste, dass sich etwas in dieser Welt grundsätzlich verändert. Früher als wir in den alten Bundesländern fühlten sie das. Schließlich hätten die Ossis vor kurzem schon einmal die Auflösung ihres Staates erlebt. Alles weg, nichts blieb. Alle vertrauten Felle sind ihnen damals davon geschwommen. Krass. Und jetzt schon wieder? Sie haben daher als Erste Angst und die zeigen sie auch. Warum dann aber ausgerechnet die braune Jauche?

Wir gehen an der Bank unter einem riesigen Kastanienbaum vorbei. Ein schöner Platz, durch die üppige Baumkrone etwas dunkel. Wie versteckt hocken hier immer Obdachlose, machen Musik, trinken, reden. Auch heute. Zwei Frauen sind dabei, ein junger Mann spielt Gitarre. „Imagine“, das Lennon-Lied. Auch hier wirkt niemand, als hätte er Angst. Aber sie haben Angst, jeder hat Angst, wenn etwas Vertrautes wegbricht und völlig Unbekanntes auf einen zukommt. Die Rechten in Deutschland sind die besseren Seismographen? Und wir Bürgerlinke wähnen uns in falscher Sicherheit? Du weißt doch aus eurer Harems-Erfahrung, so Rainer: Wenn alles Vertraute den Bach runter stürzt, bringen sich die schlimmsten Fratzen des alten Systems in Stellung: Das wirst du nicht überleben! Kreischen sie. Im Kapitalismus hießen nun mal die Fratzen: Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Faschismus. Nur an der Oberfläche seien wir „aufgeklärt“. Stimmt, muss ich mir eingestehen. Als wir Frauen mit diesem Weg raus aus dem alten System in den Siebzigern anfingen, hießen unsere Fratzen: Eifersucht, Beziehungswahn, Geltungssucht, Männerhass. Auch alles faschistisch. Und das hat uns geschockt und eingeschüchtert. Seitdem machen wir zwar weiter, aber in doch sehr viel zaghafteren Schritten. Immer auf der Hut, von den Fratzen ertappt zu werden.

Also: Ratlosigkeit in den beiden Talkshows. Durch Verbote werden wir nicht weiterkommen, glaube ich zu wissen. Aber die Fratzen der anderen kommen immer näher: Es gilt sich ihnen zu stellen. Vor Jahrzehnten hat Rainer einmal in einem taz-Interview gesagt: Wir müssen die besseren Faschisten werden. Klingt irre, oder? Und dann auch wieder nicht. Meint nämlich: Nicht im Hass hängen bleiben, sich von der Gewalt einschüchtern lassen, sondern durchgehen. Dazu leider nochmal ein unverständlicher Spruch: In der Mitte der Dunkelheit ist das Licht. Wenn du nicht aufgibst, werden die Fratzen blasser, irgendwann verschwinden sie. Ich weiß nicht wirklich, ob das so stimmt. Bisher kann ich nur glauben. Und bleibe dran.

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