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Christa Ritter's Blog

Das erste Semester entlässt seine Frauen

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Mit den Faden gebundenen Büchern aus grob-schlichtem Papier der Mitte der Dunkelheit ließ ich mich 1982 über die Frankfurter Buchmesse treiben und sprach als begeisterte Missionarin eines inneren Weges als Selbstfindung, so fühlte ich mich, die Menschen an, die mich interessierten: Luise Rinser, Paul Watzlawik, Esther Vilar, Gabriele Henkel und so viele andere, die damals angesagte Kulturträger, also Promis waren. Es machte mir Freude, dieses ungewöhnliche Buch, das ich mit produziert hatte, dessen Preis nur die reinen Herstellungskosten ausmachte, anderen anzubieten. Die meisten freuten sich darüber, so persönlich angesprochen zu werden. Ich suchte mir Menschen aus, die mich interessierten,  erzählte ihnen von dem wunderbaren Inhalt und wir konnten uns oft auf Anhieb über eine freundschaftliche Ebene gegenseitig verzaubern. Ungewöhnliche Encounter zum Beispiel auch mit Nina Hagen in ihrem Tourbus durch Berlin1981_beautiful_face__-_black___white, eine halbe Nacht lang mit Friedrich Hundertwasser an der Bar des Münchner Hotel Continental, ein Nachmittag intensive Diskussion über das Leben mit Joseph Beuys in einer großen Galerie in der Maximilianstraße, wo er seine Ausstellung vorbereitete. Für mich war dieser Trip nach den drei vergangenen Laborjahren eines zurück gezogenen Studiums des Inneren ein aufregender Kontrast. Ich fühlte mich wie neu erfunden, wenn ich auf die Menschen zuströmte, um zu testen, wie ich  außerhalb der kommerziellen Spuren mit Menschen Kontakt aufnehmen könnte. In ihrem und meinem Leben, mit solchen Themen des Privaten auf den Märkten und Medien draußen. Vielleicht spielte ich manchmal zu sehr eine Art Propagandistin, redete vor allem Rainer-Mix, allerdings von mir individuell eingefärbt und zusammen gestellt. Hinter so viel unverdaut Überheblichem blieb daher meine Unsicherheit.

Ich wohnte noch immer karg in meinem kleinen Apartment, Jutta ebenso aber etwas größer eine Straße weiter mit Söhnchen Severin. Gleich um ihre Ecke campierte Rainer: Noch karger als wir Frauen lebte Rainer auf nur einer Matratze mit Tisch, Stuhl und TV. Ein paar Schritte weiter hatte sich Brigitte eingenistet und Anna lebte mit ihrer Tochter etwas abseits im Café-Landhaus ihrer Mutter am stillen Walchensee.

Anna's Home am Walchensee

Anna’s Home am Walchensee

Anna und Fatima

Anna und Fatima

Jutta telefonierte immer wieder mit Zwillingsschwester Gisela in Los Angeles. Ihr Mann Paul lag nach einem Drogen-Absturz im Koma und war schwerstens behindert. Gisela suchte verzweifelt danach, ihrem Leben einen neuen Sinn zu geben. Entsprechende Fights mit der dortigen Getty-Familie, aber auch lange nachdenkliche Gespräche mit Rainer am nächtlichen Telefon.

Gisela heiratet Paul Getty III in Italien

Gisela heiratet Paul Getty III in Italien

Als Nächstes versuchten wir ein wenig die Grünen zu kapern, die sich mit Petra Kelly, Joseph Beuys, Manon Maren-Grisebach und anderen vor kurzem gegründet hatten. Beim Bundesparteitag in Hamburg 1984 mischten wir uns unter dieses abenteuerlich pragmatische Fußvolk meiner Generation. Neugierig, skeptisch: Mir erschien ihr Programm einerseits von der 68er Vision der Liebe getragen, anderseits doch zu erdig – eben Öko und die Sonnenblume. Mir schien: Zu zaghaft, zu wenig wild, kaum geistig. Also Verrat an den fantastischen Visionen einer neuen Welt, die uns 68ern Flügel verlieh? Könnte das überhaupt gehen, diese verrückten Ideen eines liebenderen Menschenbildes mit seiner Aufhebung der engen Geschlechterrollen, um das Private, das im Grunde Ursprung aller Politik ist, sogar in die Niederungen von daily life of old politics zu transferieren? Immer noch übersah ich die vielleicht mühsame Strecke eines nötigen langen, komplex greifenden Weges und träumte vom großen schnellen Knall.

Joschka, charismatisch

Joschka, charismatisch

Zweifelnd belächelte ich den streitbaren Joschka Fischer mit seiner hübschen Blondine und dem Schäferhund an seiner Seite oder den sommersprossigen Dany Cohn-Bendit oder Otto Schily, den Kühlen. Sie alle waren auf diesem Parteitag in Hamburg erschienen und spielten in meinen Augen eher die neuen Männer, die sie noch nicht waren: Versuche mit einer neuen Vision des Lebens schon praktische Politik hinzukriegen. Mir kamen diese Weicheier und Machos immer noch wie eitle Gockel vor. Da war, dachte die eitle Christa, Rainer schon ganz anders drauf. Das Weibliche blieb bei den Streithähnen zunehmend wieder draußen, blieb Projektion auf die Frau, grübelte ich. Oder war ich nur auf Rainer fixiert, daher blind für die Variationen derselben Sinnsuche? Durch die Erfahrung in unserem Labor mit diesem unbequemen Mann, der auf mich oft so gnadenlos wirkte, obwohl er sich seit Uschi vor allem mit Frauen umgab und sie ständig zum Weg, der das Ziel sei, ermutigte. Der seine von der Gesellschaft verlangte Rolle als Krieger zuerst in der Bundeswehr überprüft hatte, in der Kommune I das Herrschen für die Liebe aufgab, später auch nicht mit den verzweifelten Genossen zur Männergewalt retour wollte. Uschi statt Knarre, innere statt äußere Revolution. Oft traf ihn böse Häme, wenn er sich in Berlin sehen ließ. Die Welt ist dabei, sich zu verweiblichen, ließ Rainer ausgerechnet in Berlin verlauten. Verweiblichen würden sich auch die Frauen. Von ihm hörte ich dann über seine Berliner Genossen: Der Männerbund verzeiht nicht, wenn einer ausschert. Denn Rainer verriet auch unter uns: Er blieb in der zweiten Reihe und erläuterte uns, wie wir nicht als Diener ihrer Herren, sondern als Frauen mächtiger werden könnten, wenn wir denn wollten. Wir wollten nicht! Ich hatte Angst vor der Macht in der Welt, fühlte mich wie ein kleines Mädchen. Ich konnte kaum glauben, auf meine Weise irgendwann auf dem Podest zu landen. Hier vor der Redner-Bühne standen die SDS-Nachfolger, die Grünen Leaders und wippten auf ihren Turnschuhen in immerhin leicht gebrochener Lust an der Schlacht. Hatte Joschka nicht vor kurzem, als er nach den Sponti-Auftritten Taxi fuhr, noch ganz andere Töne verlauten lassen?

Joschka im internen Organ der Frankfurter Sponti-Szene Autonomie 2/77 nach der Demo zum Selbstmord von Ulrike Meinhof: … aus der Sackgasse des Militarismus müssen wir rauskommen… wir müssen mit dem Mythos der revolutionären Gewalt aufräumen… der die ganze Scheiße weiter am Leben hält und reproduziert. Woraus wir unsere Stärke beziehen, ist eben nicht bloße Gegengewalt: Es ist die konkrete Durchsetzung gewaltfreier Lebens- und Verkehrsformen… Wenn wir endlich mehr den inneren Bullen in uns attackieren… Befreiung von Gewalt hier und jetzt, den Kapitalismus in uns angreifen… um uns Freiheit und Glück zu eröffnen. Hier unterscheiden wir Spontimänner uns nicht vom Rest Mann… Unser Django-Gehabe :.. in die Sackgasse gelaufene Revolutionspatriarchen… Stalin war eigentlich so ein Typ wie wir… fixiert auf die Herrschaft der Männlichkeit. Es gibt nur den radikalen Weg der Revolutionierung des Alltags statt lederjackenschwer vor uns hindumpfeln. Irgendwie hängt das in uns drin… die Notwendigkeit, sich zu wehren, sich zu schlagen, ein tendenziell sadistisches Vergnügen, auch wenn’s ein Bulle war. Kaputte Sprache, kaputte Typen, eine kaputte Gesellschaft. Ich habe Angst davor, hinzuschauen wie kaputt meine Sexualität, Phantasie, meine Fähigkeit, sexuelle Beziehungen einzugehen, ist. Wie aber davon runterkommen? 1374248_10154762532375134_4352449472168879960_n

Die Frauen sind konsequent: Sie haben sich von uns getrennt, der Männlichkeit, die Herrschaft heißt. Denn das ist unser Alltag: Sexualität als Vergewaltigung, sexuelle Ausbeutung der Frauen in den Ehen und Beziehungen, als Verewigung des männlichen Berufsverbots für Frauen, ja ihrer Sklavenexistenz. Ein absurder Todestrip der Männergesellschaft: Zerstörung der Natur, Unterdrückung, die Industrie genannt wird. Unsere Revolution kann auf das Gegenständlichwerden von Utopien in unserem Alltag nicht verzichten. Wo finden wir die Erfahrungen, die entsprechenden Lebensformen? In primitiveren Zeiten, bei Frauen, Indianern, Kindern….?
Alles 1999 als Außenminister wieder vergessen? Joschka zum Kosovo-Krieg: Wenn Milosovic konsequent auf Krieg setzt, stellt sich die Frage nach Gegengewalt. Oder sollen wir einfach auf die Knie gehen? Frieden im Kosovo ohne eine militärische Absicherung wird es nicht geben. Ihr erinnert euch…

Neben diesen entschiedenen Politkämpfern traute ich mich dann doch nicht, das Mikrofon beim Parteitag zu ergreifen und für den Bundesvorstand zu kandidieren. Jutta traute sich, nur der nötige Wille zur Macht fehlte auch ihr. Rainer wartete zunächst ab, dann bewarb er sich. Seine Rede kam mir ziemlich unerhört vor: Ich habe ein Votum vom Landesverband Utopie, sagte er leise. Da ich niemanden gehört habe, der in diesen utopischen Dingen spricht, habe ich gedacht: Es ist gut, vielleicht ein Zeichen zu setzen…. Diese Parlamentarismus-Debatte hat mich eigentlich wenig interessiert…. 1969 etwa bin ich rotiert und zwar sehr gründlich, nämlich etwa 12 Jahre lang aus allen sozialen Bezügen fast ganz raus. Weil ich wissen wollte, was eigentlich hinter der Politik steckt und warum sie so folgenlos ist, wenn wir immer glauben, sie würde mit dem 5-vor-12-Gefühl der Ängste betrieben werden müssen. (Applaus) Ich habe gesehen, dass es um den totalen Krieg geht. Wollt ihr den totalen Krieg? Ich habe ihn innen sehen müssen – und ich habe überlebt. Da können wir von Bruder Hitler was lernen – aber diesmal sollten wir ihn endlich, endlich innen führen, nicht immer wieder außen….. Ich möchte deshalb gern darauf hinwirken – in diesem Bundesvorstand…. damit wir das lernen: Innen Krieg zu führen. Den Krieg, der als der Engel mit dem Flammenschwert eben vor dem Paradies steht. Unsere Väter, die haben das schon einmal versucht, ganz gläubig wie wir heute: den Himmel zu erreichen, hier auf Erden. Und sie sind dabei in der Hölle gelandet. Es täte uns gut, wenn wir nicht so viel wegklatschen, was wir mit dieser Vätergeschichte und dem Faschismusvorwurf erlebt haben…. Wir haben diese Erfahrungen gemacht, bietet uns Heiner Geissler an. Er sagt: Ihr sollt nicht auf Grund einer ähnlichen Blauäugigkeit wie wir damals wieder in der Hölle landen müssen. Lernt daraus, erstens. Zweitens…. Könnt ihr es diesmal besser machen? …. Erkennt ihr diesmal den Scheideweg, die ihr wieder eine zentrale Erfahrung haben wollt, die irgendwo zu einem neuen Menschen führen soll? (Präsidium: Kommst du bitte zum Schluss…) Ich habe das gesehen. Es ist 5 nach 12. Wir haben Zeit. Der neue Mensch ist da. Wir sind es alle. Wir sehen es zu wenig…. Ich danke euch. (kräftiger Applaus und Pfiffe). Rainer erhielt ca. 10 % der Stimmen. In die Kamera eines TV-Reporters sagte er: Ich lebe in einer Welt von Frauen. Das ist für einen Mann quälend und bis heute ganz fürchterlich – aber auch ungemein lehrreich.

Regen auf dem Parteitag

Regen auf dem Parteitag

Ich schaute den Leuten im Saal zu, war aufgeregt. Endlich gab es wieder eine Bewegung, vielleicht sogar eine richtige Partei, die sich dem Himmelssturm von 68 anzunähern traute. Jeder in der Halle schien das vermeintlich Unmögliche zu spüren. Zum ersten Mal könnte nach dieser unerhörten Vision der Kommunarden tatsächlich das Politische sogar im Bundestag ein bisschen privater werden. Ich wollte diese Bewegung als deutliches Signal träumen, dass unsere Republik nach einem liebevolleren Leben suchte. Der Grüne Weg: von der anfangs links angehauchten Jugendsekte hin zu einer Bewegung, die sehr viel tiefer nach Angeboten suchte und dadurch vielleicht viele Unzufriedene erreichen würde. Die Grünen lebten eben schon deutlich anders als der Mainstream, anders als deren parlamentarische Vertreter, und so viel Aufbruch sah man nicht nur daran, dass manche im Plenum strickten. Ihr Sound konnte auch stürmisch und laut werden, wenn sie sich miteinander ausprobierten. Shitstorms zwischen Petra, Gerhard, Wolfgang, Marie-Luise. Sympathisch zu hören, aber der Harem bot eine heftigere, weil weit grundsätzlichere Hausnummer an, sinnierte ich, als Jutta Dittfurth gewichtig vorbei schritt. Den Tag zuvor hatte ich mit ihr beim Italiener am Frankfurter Bahnhof gegessen und dabei heftig mit ihr gestritten. Sie war eine leidenschaftliche Linke und schien an der linken Revolte zu kleben, bloß nichts Inneres. Old School, dachte ich hochnäsig und kehrte zurück zu unseren Themen der Selbstveränderung.

Hamburg von links: Brigitte, Jutta, Christa und Rainer

Hamburg von links: Brigitte, Jutta, Christa und Rainer

Der jugendlich linke Sturm der Grünen ließ sich esoterisch kaum beirren, höchstens ab und zu gnädig beflügeln. Nach dem Motto: Inneres Wissen der Älteren, warum nicht? Immerhin passierten ab und zu kleine Erschütterungen, als würden sie doch ein wenig aus der äußerlichen, der materiell-politischen Bahn geraten. Mit einem halben Ohr hin zu uns. Gespräche mit Petra Kelly und Gerd Bastian. Der Boulevard der Möglichkeiten wurde durch die Grünen breiter: Immerhin teilte der Harem auch auf diesem Parteitag erste kleine Zeichen allgemeiner Zärtlichkeit mit jedem der hier Versammelten. Ich freute mich, dass wir zwar ohne Mandat, aber doch in der Nähe neuer Politik ankamen.

scan0321You have to open your heart to the energy: Rainer hatte nie Angst, trug immer helle Klamotten, fuhr in München alle Distanzen mit seinem 40er Jahre Fahrrad, also meilenweit für eine duftende Alfonso-Mango, hatte einen offenen Blick, für jeden Zeit, der ihn ernsthaft fragte, hatte auf seinem TV eine dicke Staubschicht, flickte sich die Klamotten mit seiner Nähmaschine selbst, liebte mutige und schöne Frauen, versaute dir jede alt-romantische Anwandlung, versuchte gnadenlos ehrlich zu sein, lebte immer mehr im eigenen Kosmos und ließ dich gern daran teilhaben, war unkorrumpierbar, hasste Nichtbemühung, riss sich manchmal nervös die Haare aus, nannte Hitler einen Bruder, hatte seit Jahren Fußpilz, war ein Sargnagel für alte Kamellen und Botschafter meiner in mir verborgenen Liebe und somit der interessanteste und fürchterlichste Mann, der mir je begegnet war. Jutta, Brigitte, Gisela, unterschreibt ihr das? Jutta sagte zu mir: Nein, täte sie nicht. Wir Fünf waren und sind tatsächlich sehr unterschiedlich. Frauen halt. Dass ich in jenen Tagen des I-Dötzchens noch kaum auf mich schaute, werdet ihr mir hoffentlich irgendwann verzeihen.

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