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Christa Ritter's Blog

Der Norden scheint uns festzuhalten

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Samstag

Ein bißchen getrödelt, in der Sonne gesessen und aufgewärmt. Ich friere vielleicht auch besonders, weil meine Verdauung streikt. Nach Durchfall, weil ich Tabletten nahm, nun das Gegenteil. Nachmittags fuhren Balwinder mit Mutter, also mit Jutta’s Schwiegermama, und die  beiden Schwestern Raja und Sona zu ihrem Stoffhändler. Es sollte der Stoff für einen Suit ausgesucht werden, den Jutta ihr schenken wollte. Das ist hier im Panjab eine Art Tunika mit gerafften Hosen und einem Shawl, der über die Schulter führt. Wir saßen dann in einem länglichen Laden , an den Wänden Stoffe gestapelt, davor gut gekleidete Textilverkäufer, die mit einem resoluten Schwung alle möglichen Stoffballen vor der Kundin elegant auswarfen. Manchmal saß ein Ehemann neben der Kundin, in unserem Fall aber die Mutter mit drei Töchtern, deren Augen glitzerten. Auch Jutta und ich waren schwer bezaubert von diesen kräftigen Farben und den unterschiedlichsten Strass-Stickereien. Ma und Girls suchen hier immer einen weißen Stoff wie Seide aus, um ihn genau nach den eigenen Vorstellungen einfärben zu lassen. Die weiße Seide würde also aquamarin eingefärbt. Das würde ihr toll stehen: die braune Haut, braunen Augen, das leicht angegraute Haar mit den goldenen Ohrringen. So farbenprächtig trauen wir neuen Alten trotz Flower-Power Vergangenheit in Europa leider nicht vor den Spiegel. Plötzlich brachen alle Schwestern in Tränen aus: Balwinder würde heute Abend mit uns abreisen und sehr bald mit Severin nach München ziehen. Der Trennungsschmerz wollte nicht aufhören, sie weinten herzzerreißend. Dann fuhren wir noch beim Schneider vorbei, der auch Jutta’s Masse (gelten auch für Brigitte) und meine aufschrieb. Sie wollen uns bald je einen Suit in Baumwolle nähen lassen.

Gegen Abend same procedure as always: Koffer packen, mehrere Taxis bestellen, zum Bahnhof. Und hier machte ich einen Fehler, den ich noch bereuen werde. Ich trug   mit der rechten Seite, dort wo ich im Oktober eine Miniskusoperation hatte, eine schwere Tüte mit Obst und Nüssen, vielleicht 10 Kilo. Als einseitige Belastung zu viel. Ich habs gemerkt und trotzdem rüber bis zum Gleis 4 getragen. Den Umweg für den Gepäckwagen. Seit heute früh tut es verdammt weh und ich werde morgen mit Brigitte zum Arzt gehen. Bin eben doch nicht mehr so fit und belastbar wie eine junge. Ha, ha. Indien 9 002Fast fünf Stunden Zugfahrt nach Amritsar, wo uns ein Satsangi-Freund, den wir in München kennengelernt hatten, erwartete. Wir sollten in seinem kleinen Stadtpalast, der Haveli eines erfolgreichen Kaufmanns und seiner Großfamilie übernachten.Indien 9 003 Übrigens hatte sich vor ein paar Tagen Jutta eine gebrochene oder angebrochene Rippe zugezogen, ausgerechnet in der Nähe ihrer Tumore. Jetzt konnte sie nicht mehr auf dem Bauch schlafen, alles wurde für sie nochmal schmerzhafter. Im Zug hatte sie ein Gespräch der Klagen mit Rainer, liess mich aber nicht teilnehmen. Wir Frauen würden sie nicht gut behandeln, hörte ich von weitem, sie stünde für den Film nicht im Mittelpunkt, alle kümmerten sich wenig um sie. Das sah ich ganz anders.

Buri in seinem Familiensitz

Buri in seinem Familiensitz

In der Haveli wurden die 8 Betten in zwei Zimmern verteilt: die Schnarcher in einem, die Leisen im anderen. Sehr harte Strohmatratzen, schwere Bettdecken. Hier werden Betten nicht bezogen, du schläfst pur. Die ältere Tochter Satschi bot mir dann an, in ihr Doppelbett zu kriechen, ihre weiche und warme Decke zu benutzen. Ich schmiss mich rein, während sich die anderen um 01.00 Uhr noch zu einer Hindu-Session, einer Art Karneval aufmachten. Ich glaube, da habe ich etwas verpasst.

Sonntag

Meine Bettnachbarin Satschi ist 21 Jahre alt und Buris älteste Tochter. Er hat noch eine jüngere Tochter und einen 10 jährigen Sohn. Sie studiert Economy und will Karriere machen. Heiraten? Sie wird sehen. Auf ihrem Schrank klebt eine blonde Barbie. Widersprüche.Indien 9 033 Morgens zum Früchte-Frühstück berichteten sie begeistert von der Disco-Show, die dort mit Transvestiten abging, die mit ausgelassener, wohl ekstatischer Begeisterung verrückte Geschichten von Krishna und seinem Gefährten auf einer Odyssee durch einen Wald darstellten, den Hintergrund bildete das Pantheon der Götterwelt. Jutta und Brigitte ließen sich gerne dazu hinreißen, auf der Bühne mitzutanzen. Der Kaufmann Buri hat einen Satsangraum, in dem sich nach dem Frühstück einige Schüler versammelten, um zu meditieren, zu singen und den Tonbändern von Kirpal zu lauschen.

der Kuhstall, wo die Tiere sehr kurz angepflockt gehalten werden

der Kuhstall, wo die Tiere sehr kurz angepflockt gehalten werden

Buri heizt ökologisch: In einem Hof stehen die Kühe, deren Mist weiterverarbeitet wird. Langsam hatte sich gegen den Morgendunst die Sonne durchgesetzt und wir setzten uns auf eine der vielen Dachebenen (sie Terrassen zu nennen, wäre übertrieben).

Blick zu den Nachbarn

Blick zu den Nachbarn

Wir würden jetzt, nach der ersten Hälfte der Reise, ein Resumee versuchen. Vor allem nach den Reisesstrapazen, die viele von uns erlitten, und Jutta’s Klagen. Jutta wiederholte sich in der Opferrolle, dass alle anderen im Mittelpunkt stünden, sie nicht gewürdigt wird, ein altes Leidensthema aus der Schublade „Zwillingsproblem“. Jutta ewig im Schatten ihrer sozial begabteren Schwester. Und sie? Was ist eigentlich ihr Ding? Wir redeten auch über unsere Meistersuche. Vor allem über Hannes, der uns einerseits mit seiner verzweifelten Suche beeindruckt hatte, dann aber doch nicht überzeugte. Wenn der Geist einem sozial materialistischen Projekt geopfert wird, also zu Stein und Institution gefriert, wie jetzt in seinem Kirpal Sagar, in Baghwans Oregon oder auch in Aurobindo’s Auroville, ist etwas schief gegangen.

Gegen Abend fuhren wir in die Innenstadt, die unglaublich quirlte, die Leute auf der Straße in Massen, auch Händler überall. Zunächst: Indien 9 017Historischer Ort der Befreiung von den Engländern, draußen aber verlor ich die anderen, als ich noch ein Foto machte. Ich lief zu unserem Parkplatz, niemand tauchte auf. Mein Handy hätte mir genützt, aber es lag auf dem Nachttisch. Ich wußte keine Adresse. Wollten wir nicht auch zum Goldenen Tempel? Ich fragte einen Jungen, der wenigstens etwas Englisch verstand. Mir scheint, dass immer weniger Inder Englisch sprechen, nur eine kleine Mittelschicht, die mit dem Ausland arbeitet. Der Junge konnte mir glücklicherweise antworten: Der Goldene Tempel ist nicht weit. Ich machte mich also auf den Weg durch diese bedrohlichen Massen von Fremden und Händlern und checkte beim Tempel ein: Schuhe und Socken abgeben, Kopf bedecken usw. Dann kamen mir einige meiner Leute entgegen, die mich suchten.

der goldene Tempel

der goldene Tempel

Es war nicht nur Sonntag, es war auch ein besonderer Feiertag: Deshalb schleusten sich heute sehr sehr viele durch diese majestätische und doch wunderschöne Tempelanlage der Sikhs, in der ihr Guru in Form eines Buches, dem Grant Sahib, wohnte. Indien 9 029Unser Rundgang wurde begleitet von wunderbaren heiligen Gesängen, die nicht aus der Dose stammten.Indien 9 027

Indien 9 023

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Ein Kommentar

  1. Dank für jeden Beitrag Christa, der uns als leise Begleiter auf eurer Reise Anteil haben lässt.
    „Wenn der Geist einem sozial materialistischen Projekt geopfert wird, also zu Stein und Institution gefriert, wie jetzt in seinem Kirpal Sagar, in Baghwans Oregon oder auch in Aurobindo’s Auroville, ist etwas schief gegangen.“
    Was ist schief gegangen? Das soziale Projekt ist doch ok? oder etwa nicht? Was Du mit materialistisch meinst, kann ich nur erahnen. Die institutionalisierte Form hat aus meiner Sicht nichts mit der initialen Idee der Bewegung zu tun (Bewegung ist etwas, was uns bewegt, berührt hat). Es hat etwas mit unserer Projektion zu tun, die nicht unterscheiden kann, was „Dharma“ ist und das was „Anhänger“ daraus machen.
    Das ist ein sehr spannendes Thema, das mich sehr beschäftigt. Selbstverständlich habe ich keine gültige Antwort darauf. Es hat sehr viel mit unserer Projektion auf Gurus, Lehrer, Meister oder wie auch immer wir diese weisen Menschen benennen zu tun. Es steht uns frei auch diese „Vorbilder“ zu hinterfragen und erst recht das, was die Institutionen aus ihnen machen.
    Freue mich auf deinen nächsten Beitrag
    Asti

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