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Christa Ritter's Blog

DIONYSOS ON THE BEACH

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Hier poste ich euch eine meiner schwierigsten, vielleicht triefgründigsten Geschichten, die ich in den Achtzigern schrieb. Diese Geschichte ist tatsächlich passiert, also nicht fiktiv. Ich habe mit den beiden Frauen im Auftrag des SZ-Magazins tagelang Gespräche geführt. Die waren sicher auch eine Art weitere Aufarbeitung für sie. Erst aus diesen vielen Gesprächen habe ich diesen Dialog über eine grausame Nacht zusammen gebaut. Eine griechische Tragödie in heutiger Zeit wurde sichtbar. Die Redaktion des SZ-Magazins hat sie dann nicht gedruckt,  war wohl sogar damals zu krass. Und heute? Super-krass. Gibts höchstens fiktiv. More than Fifty Shades of Grey.

Über eine tödliche Nacht

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Es sind die ersten sonnigen Märztage, in Hamburg fangen die Osterferien an. Bettina F. (49) ist Lehrerin an einer Grundschule in Altona. Seit 1973 geschieden, lebt sie dort nach einem langen Aufenthalt in Indien mit ihrer Tochter Johanna (20) in einer einfachen, kleinen Altbauwohnung. Gemeinsam werden die beiden, wie sie sagen, ins Paradies fliegen. In den bergigen Süden von Zypern, ans Meer, wo man noch keine Fremden trifft. Wie schon häufig vorher sind sie mit Rucksack und Zelt unterwegs. Im abseits gelegenen Ort Nygö Arna fragen sie Belam Gyöni, ob sie auf ihrer Wiese campieren dürfen. Diese türkische Mutter von fünf Kindern bietet den beiden Deutschen auch einen Platz zum Waschen an. Beim Tee am Nachmittag lernen sie die drei Töchter kennen. Die Männer sind abwesend. Der Vater arbeitet in Belgien, der eine Sohn ist Fischer, der andere beim Militär. Nach zwei Tagen verlegen sie das Zelt an die Süßwasserquelle bei den Feigenbäumen unten am Strand. „Aliens Beach“ haben ihn die Besatzungs-Engländer genannt – den Strand der Fremden. Es ist Gründonnerstag, etwa 19.30 Uhr, Dämmerung, der Himmel leicht bewölkt.

Bettina: Wir sprachen gerade über Angst. Ich sagte: Was soll denn passieren, wenn du in deiner Mitte bist?

Johanna: Ich habe geantwortet: Du bist sowieso nicht in der Mitte. Du bist doch nicht Buddha.

Bettina: In dem Moment stand vor uns wie vom Himmel gefallen ein Mensch mit einer Rute in der Hand. Ich sah ihn nur bis zur Brust im Zelteingang. Aber mir war sofort klar: Er bringt den Tod.

Johanna: Eine hundertprozentige Gewalt…

Bettina: Du warst einen kleinen Moment lang noch geduckt hinter mir in meinem Schutz.

Johanna: Mir ging kurz durch den Kopf: Wie werden wir den los? Im selben Moment war klar, er geht nicht. Er hat das Zelt vorn aufgerissen, das ist zusammengefallen, weil er auf den Stoffsack gehauen hat.

Bettina: Ich bin aus dem Schlafsack raus und vor….

Johanna: Um sich vom Stoff zu befreien und zu sehen, was da abgeht.

Bettina: Augen, Angst. Als Kind war es schon so, daß ich zuviel sehe. Damit ich mich retten kann, wenn mir was zu nahe kommt. Ich habe mich deshalb mein Leben lang im Kreis gedreht und gesucht, wer ich bin.

Johanna: Du bist viel zu verklemmt.

Bettina: Diese Angst vor der Kraft in sich selber und den Mut zu haben, diesen Teil kennenzulernen. Ich mußte als Kind immer das Beste liefern, war Lieblingskind meines Vaters, immer in Konkurrenz. Weil ich mich nicht wirklich zeigen konnte, habe ich viel gelogen. Meine Mutter hat mir ihre Sexualität versagt, auch meinen Brüdern. Genauso habe ich sie mir selbst versagt. Später habe ich mich für diese kleinen Stummelarme eines Mannes in die Sexualität begeben und sah, daß die Männer nichts davon verstanden und ich auch nicht. Mir waren deshalb meine Kinder mehr mein Gegenüber als ein Mann. Hexe…

Johanna: Du hast Angst vor diesem grenzenlosen Einfachdasein….

Bettina: Ich habe keinen Appetit auf diese Art der Sexualität: Prostitution. Ich möchte ein wirkliches Gegenüber. Ich möchte mich und den anderen wahrnehmen und mich nicht kleinmachen. Aber solche Gedanken sind mir weit voraus.

Johanna: Du bist ängstlicher als ich.

Bettina: Wir waren nicht wegen der Männer verreist, sondern wegen der Quelle. Und keine Leute, das war unser Ding.

Johanna: Geil, ja! Paradise! Nature reinziehen. Aber wie halten wir uns die Männer vom Leib?

Bettina: Du fährst ins Paradies und dann kommt so ein Arschloch. Das ist widerlich! Ich war früher schon oft in der Türkei und habe schlechte Erfahrungen gemacht. Aber ich wollte wieder hin, weil ich nicht glauben konnte, daß Männer sich so verhalten, daß Sexualität für sie immer mit Gewalt zu tun hat.

Johanna: Es ist tierisch. Die Frauen gelten dort noch nicht mal so viel wie Tiere.

Bettina: Ein Tier ist wichtiger.

Johanna: Genauso hörst du unter Frauen nur: „Adam“ und „peng, peng“. Die Sagen: Wir kochen für die, lassen uns ficken, sind passiv und kriegen Kinder – aber ansonsten sollen sie uns in Ruhe lassen.

Bettina: Der Kontakt über den Körper der Frau ist der einzige Kontakt.

Johanna: Wir waren, verglichen mit den Frauen dort, eher prüde angezogen. Die laufen zum Teil im Minirock bis knapp über die Arschbacken rum.

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Bettina: Das war das Ende der Welt. Alle Männer weg, eine richtige Frauenwelt…Den Dragos, so hieß er, haben wir nie gesehen, nur tot.

Johanna: Bettina wußte auch danach nicht, wie er aussah.

Bettina: Als es passierte, war er erst zwei Tage vom Militär entlassen, nach zwei Jahren Dienst. Der ist in einer Frauenfamilie groß geworden.

Johanna: Sein Frauenhaß sitzt!

Bettina: Dragos hatte einen Haß auf die Frauen, so wie sie einen auf ihn hatten. Das spürte man. Wir waren nicht auf Männer aus. Türkische Männer, nee. Wenn wir zwei ausgehen, sind wir einfach auch ohne gut drauf, weil wir das wollen…

Johanna: Dann ist immer Zirkus. Einfach so. Jeder für sich und auch zusammen.

Bettina: Unbeschwertsein, sich über alles dusselig lachen. Selbst wenn du schon groß und stark bist, bin ich noch immer die, die sich davorstellt und dich behütet.

Johanna: Bis damals hab ich gedacht, meine Zaubermama macht das schon. Die türkischen Frauen haben auch gesagt: Ihr fallt auf, ihr sowieso.

Bettina: An mein Kind durfte nicht mal mein Mann ran. Da werde ich zur Löwin. Nur diesmal konnte ich sie nicht schützen.

Johanna: Auf alle Fälle hatten wir eine telepathische Beziehung miteinander, gerade in einer so extremen Situation.

Bettina: Ich habe mir auch selbst immer eine solche Mutter gewünscht, die mich ins Leben einweiht. Das habe ich dir jetzt wirklich geboten. Johanna ist wahrscheinlich dadurch erwachsen geworden. Ich war noch nicht aus dem Zelt, da hatte ich schon ein Loch im Kopf von der Zeltstange. Draußen traf mich noch was im Gesicht und da war der erste Zahn weg.

Johanna: Draußen schien mir, als wenn, keine Ahnung, so ein Moses oder Gott die Hand aus dem Himmel streckt. Da war ein Licht. Aber das habe ich innen gesehen.

Bettina: Ich habe gesagt: „Meine Zähne!“ Dann ist Johanna voll in Aktion getreten.

Johanna: Bettina hatte die Haare offen und alles war schon mit Blut verklebt. Sie hat nur gewimmert.

Bettina: Den Zahnstummel habe ich rausgezogen.

Johanna: Dann stand er halt so vor uns und hat mit dem Becken Fickbewegungen gemacht und „he, he, he“. Diese Macht und Körperlichkeit!

Bettina: Durch den Schlag auf den Kopf war ich einfach nichts mehr. Es war nur noch der Körper da, die Seele war ausgewandert.

Johanna: Es war kein Kampf. Wir waren gelähmt. Jemand steht mit einer Waffe vor dir und du bist das Opfer.

Bettina: An dem Strand kannst du nicht weglaufen, weil der Sand zu weich ist. Und der Mann läuft schneller als du. Hinten gings den Hügel hoch. Ich habe mich hingestellt und habe ihn zu mir gelockt und habe gesagt: Mich! Daraufhin hat er mich geschubst und mir die Hose runter gezogen und Johanna hat mir geholfen. Dann hat er sie auf einen Sitz blank gerupft, ihr alles ausgezogen. Er hat sie hingeschmissen und mich gleichzeitig runtergerissen….

Johanna: Davor war noch, daß er dir die Zeltstange in die Scheide rammen wollte und in den Mund…. Er wollte Bettina vernichten.

Bettina: Ich habe noch gesagt: Johanna geh! Für mich war klar, ich sterbe jetzt. Ist vorbei. Mir war nur wichtig: Johanna hau ab. Dann wußte ich aber, so wie wir zusammenleben, kann sie mich hier nicht allein lassen.

Johanna: Die Möglichkeit war nicht da – emotional und praktisch nicht. No chance. Ich hatte eben nicht nur selbst Angst, sondern auch Angst um Bettina.

Bettina: Sie hat ihn abgehalten.

Johanna: Ich war ganz ruhig, damit ich weiß, was ich tue. So habe ich auch einen Blick für die anderen.

Bettina: Dann hat er sich über Johanna geschmissen, hatte sich die Hose aufgemacht und mich gegriffen, mit dem linken Arm im Schwitzkasten festgehalten und ist auf ihr rum geritten. Er hat ihr während dieser Penetration auch die Scheide zerstört.

Johanna: Sand im Getriebe…

Bettina: Nicht nur Sand. Er hat sie wie erstochen. Sie war ja gar nicht weich und aufnahmebereit. Die Vagina war völlig trocken. Das tut weh.

Johanna: Vielleicht tat´s weh, aber es spielte in diesem Moment gar keine Rolle.

Bettina: Dann hat es ihm irgendwie nicht gepaßt. Johanna hat versucht, ihn zu beruhigen, indem sie „küssen“ spielte. Damit er sich auf was einläßt…

Johanna: Damit ich Kontrolle bekam.

Bettina: Dann ist er aufgestanden und hat sie dirigiert, daß sie sich vor ihn stellen mußte und dann rein gestoßen.

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Johanna: Willste nicht lieber mich erzählen lassen? Gestunken nach Tier hat er. Er war voll da. Das kannst du meditativ nennen, voll Natur. Getrieben von seinem Trieb und seiner Aggression und allem, was er in seinem Leben eingesteckt hat und das war viel.

Bettina: Das ganze Dasein in die Stange übertragen…..Da gab es keine Diskussion. Wir hatten ja auch keine Sprache. Es gab nicht mal die Frage nach Leben und Tod.

Johanna: War ganz straight.

Bettina: Es ging darum, sich reinzustoßen, so 100%ig mit allem. Auch wir waren nicht mehr in der Lage zu denken.

Johanna: Wir haben nur noch reagiert, erst später schlug es um in agieren. Dann war ihm das zu unbequem.

Bettina: So kam er ja nicht auf den Trip. Er mußte mich doch festhalten.

Johanna: Dann ist er hoch und hat mich halt umgedreht, praktisch hingehockt und hat mich von hinten, aber in die Vagina. Hockte selber auf den Knien und fickte mich die ganze Zeit. Dann ging die Geschichte mit dem Geld los.

Bettina: Ich hockte daneben und er drohte immer mit der Stange. Ich war total geschockt. Immer wenn ich dann geguckt habe, hat er gedroht und wollte ihr das hinten reinschieben. Dann plötzlich schrie er „pada“ und ich war wie elektrifiziert. Ich wußte nicht, wo das Geld ist.

Johanna: Weil ich das hatte. Ich habe Bettina gesagt, wo das ist und sie hat´s ihm gegeben: 500.000 Lira, so ein Bündel. Er hats ihr aus der Hand gerissen, während er mich die ganze Zeit fickte.

Bettina: Dann hat er mir das Geld in die Hand zurückgezählt und sich zwei oder drei Lappen in die Hosentasche gesteckt.

Johanna: Er bezahlte uns. Dann hat er sich auf den Boden auf den Rücken gelegt, sich rückwärts auf die Arme gestützt und mich auf sich gesetzt, mit dem Gesicht zu seinen Füßen.

Bettina: Das heißt, wir waren face to face.

Johanna: Ja, und ich war mit meinem Rücken zu ihm und er hatte die Stange in der Hand.

Bettina: Dann hat er wieder gedroht, wenn ich mal geguckt oder mich bewegt habe.

Johanna: Sie hat gewimmert wie ein Hund, der dahinsiecht.

Bettina: Ich war nicht mehr drin, als säß ich irgendwie neben mir selbst.

Johanna: Da mußte ich halt auf ihm drauf sitzen wie bei einer Sportübung. Ich habe gedacht, wenn der abspritzt, ist die Kraft erstmal weg. Dann hockte ich also auf dem drauf und mußte immer hoch und runter. Er hat mit der Stange von hinten gedroht.

Bettina: Mensch, das ist ´ne Spannung, wenn du das siehst….

Johanna: Dann habe ich mich auf die Hände gestützt. Diese Stellung dauerte ewig, bestimmt zwanzig Minuten. Eine gewisse Ruhe war da. Alles in Zeitlupe.

Bettina: Leere. Die Zeit gab´s nicht mehr.

Johanna: Man hörte das Meer nicht, obwohl es eigentlich laut war. Da war nicht mal unser Atmen.

Bettina: Und du wachst plötzlich auf und da gibt es doch die Zeit. So dachte ich plötzlich: Ein Glück, daß Johanna so sportlich ist. Ich hatte ja tierische Angst, daß was passiert, wenn es nicht so läuft, wie er es will. Daß sie zusammensinkt und nicht mehr kann. Dann stößt der wie auf Tiere einfach mit der Stange zu.

Johanna: Ein Glück, daß ich vorher ein einigermaßen lockeres Sexualleben hatte, sonst hätte ich das auch nicht so einfach machen können. Plötzlich ist mir in der Leere das Bild gekommen, daß Bettina und ich wie zwei tote Puppen am Strand liegen. Nackt und völlig verblutet. Bis dahin glaubte ich noch, der geht irgendwann wieder oder das hat ein Ende. Da ist es plötzlich bei mir losgegangen: Nein, so nicht! Da war für mich klar, ich muß jetzt aktiv werden. Gleichzeitig hatte ich diese Angst davor. Kampf! Ich dachte, ich gehe hoch und hau dem voll die Hand in die Eier.

Bettina: Ich habe innerlich gelacht, als ich das sah.

Johanna: Ich habe entdeckt, daß da ´ne Stange liegt, wo Bettina sitzt und habe dann im Rhythmus des Atmens gesagt: Nimm….die…..Stange. So daß er nicht merkt, daß wir miteinander reden. Und eh ich mich versah, hatte sie die Stange in der Hand.

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Bettina: Verrückt, daß er das nicht gesehen hat.

Johanna: Ich bin hoch und habe ihn irgendwo getroffen. Dann ist er auch gleich oben gewesen. Bettina sprang auf. Er ist auf sie los und wollte sie totschlagen. Ich bin auf ihn los und er hat mir eins – brrh – in die Fresse… Da bin ich rückwärts getaumelt, habe Sternchen gesehen. Ich gegen ihn, er gegen sie. Er riß mir die Stange aus der Hand als wär´s ein Bleistift. Dann habe ich auf ihn eingehämmert, wollte ihn ohnmächtig schlagen. Auf den Schädel, hierhin, ins Genick.

Bettina: Und er hat sich nur um mich gekümmert. Er hat das einfach eingesteckt.

Johanna: Am Anfang habe ich mich umgedreht und mich mit meinem ganzen Gewicht an seinen Sack gehängt. Aber ich wußte, Sackhängen bringt´s nicht, du mußt die Eier kriegen. Er ist zwei Schritte rückwärts mit meinem ganzen Gewicht und dann hat er mir in die Fresse geschlagen als wäre ich eine lästige Fliege. Der war irgendwie nicht still zu kriegen.

Bettina: Mich wollte er in die Erde stampfen mit allem, was er hatte. Sein ganzer Mutterhaß. Ich habe mich nicht gewehrt.

Johanna: Ich hatte nie wirklich einen Vater. Diese Rolle nimmt für mich am ehesten mein Bruder ein. Der ist älter und sehr Vater….

Bettina: Einer der wenigen Männer, die keine Bubis sind.

Johanna: Mir darf niemand zu nahe kommen. Wenn ich interessiert bin und ein anderer mir nahe tritt und ich keine Kontrolle habe, bin ich „boom“. Die Frauen haben es zur Zeit leicht. Die Männer sind noch beim Windelwechseln. Aber ein Mann muß Verantwortung wollen und nicht so schwammig….

Bettina: ….und Vater sein können. Damit ich mich in seinen Arm legen kann und Kind sein darf. Ich habe nie eine wirkliche Familie gehabt. War nach meiner Ehe eigentlich noch Jungfrau. Danach hatte ich eher kurze Beziehungen, wobei ich die Kinder raushielt. Ich habe Männer getestet und gesucht: Was könnte eine Beziehung sein? Wie sieht die andere, die männliche Seite aus?

Johanna: Ich war drei Jahre mit einem Typen zusammen, bis vor kurzem. Ein süßer, lieber. Wir haben uns aber getrennt, weil ich aktiver sein wollte. Ich geh mehr auf´s Ganze, wenn auch auf Irrwegen. Er kriegte seinen Arsch nicht hoch.

Bettina: Später hatte ich eine jahrelange Beziehung mit Michael. Meine Ängstlichkeit und mein Weibliches habe ich dann schon weniger zurückgehalten. Aber er wollte einen anderen Weg gehen als ich. Dagegen wollte ich weniger genommen werden, sondern selber nehmen. Aussuchen.

Johanna: Jetzt habe ich einen Freund, der ist ein ganz alter Freund. Ich weiß aber noch nicht, ob ich mit ihm wirklich zusammenbleiben will. Ja also, am Tag vorher war ein wahnsinniger Sonnenuntergang….

Bettina: Nein, der Mond ist aufgegangen! Das war kein Sonnenuntergang. Der Mond war riesig groß und am Himmel schwere Wolken, von unten rot angestrahlt.

Johanna: Als wir in dieser Nacht noch oben am Haus schliefen, lag ich mit dem Gesicht zum Zeltausgang. Die eine Seite war ein Fliegennetz, da kann man durchschauen. Ich bin in der Nacht plötzlich aufgewacht und habe einen Atem gehört, obwohl ich eigentlich im Gegensatz zu Bettina einen sehr tiefen Schlaf habe. Es war ein Angstatmen, so ein stockendes… Träum ich? Dann sah ich, daß sich jemand zum Zelt runterbückt. Ich habe Bettina angestoßen und sie hat sich nur im Schlaf bewegt. Normalerweise ist sie sofort wach, wenn ich sie anstoße. Durch die Bewegung ist der Typ vor´s Zelt gesprungen. Durch den Vollmond konnte ich sein Bild auf dem Zelt sehen. Ich habe erkannt, daß es ein Mann ist. Ich weiß, daß er es war.

Bettina: Ich weiß es auch. Als sie mir das erzählt hat….

Johanna: Komisch, ich habe mich umgedreht und weitergeschlafen. Das Normalste von der Welt wäre aber gewesen, Bettina wach zumachen und darüber zu reden.

Bettina: Er hat den Tod mitgebracht und es war eine Abrechnung. Da machst du die Augen sehr weit auf und holst erstmal keine Luft. Es stimmten die Energien. Er hat das gekriegt, was er wollte und wir, was wir wollten. Es kann sein, daß er den Tod riskieren wollte für so etwas wie ein Tempelopfer. Du kannst ja auch ein Leben lang den Rucksack auf dem Rücken behalten und dann einen Bandscheibenvorfall oder Krebs bekommen. Dragos war eine Zeitbombe!

Johanna: Er hat ihr die Stoßzähne durchgebombt. Seitdem hat sie echt eine andere Oberlippe.

Bettina: Das ist der Schock, den ich in der Fresse habe. Ich habe so eins auf´s Maul gekriegt, daß das Äußere nach innen, das Innere nach außen….die Zähne draußen standen. Er ist durch mich an eine Urkraft gekommen, eine tiefe Liebe. Seitdem kommen die Menschen auf mich als Mutter zu. Vorher dachte ich immer, eine Mutter hat keinen Sex. Seit ich die Mutter annehmen kann, wird mein Sex freier. Dragos hat mir geschenkt, daß ich mehr schauen kann. Daß ich Stellung beziehe zu allem, was ich erfahre und langsam begreife. Jeder hat seinen Platz, ein Hitler genauso wie jemand, der eine Atombombe baut.

Johanna: Ich wollte nichts verdrängen und dann einen tierischen Klops in mir haben. Deshalb machte ich eine Therapie. Aber erst in der letzten Session bin ich auf den entscheidenden Punkt gekommen. Vielleicht war es sogar ein Knall. Es ging um meine Beziehung zu Bettina. Das hat mit einem Traum angefangen: Ich wurde die Mutter und sie die Tochter. Ich beschützte sie. Dabei war ich früher viel ohne meine Mutter. Dann lebte Bettina fast fünf Jahre in Indien. Schon mit 13 habe ich allein gewohnt.

Bettina: Das Spiel ist zu Ende.

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Johanna: Ich verweigerte mich oft meiner Verantwortung als Frau und zog mich lieber zurück in das unschuldige Mädchen. Jetzt gibt es ansatzweise schon was anderes.

Bettina: Für mich ist es, als ob ich langsam nach einer langen, schweren Krankheit laufen lerne. Ich konnte nur aus ganz verschepperten Augen sehen. Ich fand es schlimm, daß die anderen nicht aus meinen Augen sahen. Jetzt lerne ich andere Menschen kennen. Mein alter Bekanntenkreis ist Stück um Stück abgefallen. Dornröschen merkt langsam, draußen ist tierisch was los. Das habe ich durch die Hecke gesehen. Ich muß allmählich den Mut entwickeln, mich hinzugeben, mich fallenzulassen. Heute fange ich erst an, mit der Erotik zu spielen, aber in meiner Geschwindigkeit.

Johanna: In mir ist auch etwas gestorben. Dadurch werde ich freier.

Bettina: Auf eine gewisse Weise habe ich etwas in mir umgebracht. Es war die Bettina-Besserwisserin, diese deutsche Bettina. Mit der habe ich mich ewig rumgezankt und geheult. Mit Selbstmordfragen und „Wer bin ich?“. Und nie eine Antwort bekommen. Meine Mutter hat bis heute nicht gefragt, was da am Strand los war. Obwohl sie auch in Hamburg wohnt, hat sie mir einen Brief geschrieben. Johanna hat sie nicht mal angesprochen.

Johanna: Und sie erzählt dir nur, daß sie darunter leidet. An uns kein Wort, keine Frage.

Bettina: Die Arme! Seit dem Knast sage ich ihr: Mutter, ich kann das nicht hören!

Johanna: Nun laß uns doch mal bei der Story bleiben. Also zwischendurch ist wieder die Zeit stehengeblieben. Da wollte Bettina mich davon abhalten, weiter auf ihn einzuschlagen. Sie schrie: Laß das! Ich wollte aber, daß der ohnmächtig wird. Nur habe ich´s einfach nicht geschafft. So ging das Gerangel lange hin und her. Bis unten zum Strand. Es war ein bißchen abschüssig. Ich bin hingefallen, sie ist hingefallen. Ich bin auf ihn rauf gesprungen, sie hat sich gedreht, wir wieder hoch.

Bettina: Wir gingen in die Endphase. Mir kam es vor, als wäre ich eine Stunde lang nicht anwesend gewesen. Ich bin erst dadurch aufgewacht, daß ich den Penis im Mund hatte. Habe zugebissen und während ich biß, wunderte ich mich, was los war. Habe tierisch zugebissen und an diesen Hoden gerissen.

Johanna: Irgendwann bin ich auf ihn rauf gesprungen und kam in den Schwitzkasten. Da lag ich dann auf dem Rücken, er auch, nur zur anderen Seite. Dann habe ich gezerrt und mich gedreht und echt gedacht, ich muß dem den Kopf abbeißen. Einfach etwas machen, daß der mal langsam ohnmächtig wird.

Bettina: Ruhe, einfach Ruhe!

Johanna: Dann war er deshalb schlagartig wieder oben und hat ihr noch drei Zähne raus geschlagen.

Bettina: Obwohl er so beschäftigt war. Dann fing bei mir an, so wie ich das jetzt verstehe, der Run um den Tod.

Johanna: Nee, nee. Noch nicht.

Bettina: Da hat er das erste Mal „Polizei“ und „Allah“ geschrien.

Johanna: Ach Quatsch.

Bettina: Hat er nicht „Allah“ geschrien? Ich könnte wetten.

Johanna: Du kannst dich sowieso an nichts erinnern. Ich sag, der hat nach der Polizei geschrien. Du hast nach Allah geschrien.

Bettina: Das war ganz am Anfang.

Johanna (lacht): Eben. Ich schrie jetzt. Einfach für mich und für ihn.

Bettina: Das haben wir fast wie im Chor gesungen.

Johanna: Unabhängig voneinander. Dann hat er irgendwann meine Finger im Maul gehabt. Ich dachte, die wären schon ab, war auch nicht traurig drum. Hat verdammt weh getan.

Bettina: Ich hatte ihn da schon im Clinch. Das ging zack-zack.

Johanna: Ich wollte den Kiefer einfach aufreißen, habe mich aber nicht wirklich getraut. Die Hemmung habe ich ganz deutlich gespürt. Dann kam sie auf die glorreiche Idee, ihm Sand in den Mund zu stopfen. Das war DIE Idee schlechthin.

Bettina: Und als er still war, dachte ich als erstes noch mal: Endlich Ruhe! Ausatmen, aufstehen. Dachte dann, da oben auf dem Hügel stehen noch mal Hundertschaften und es geht von vorne los.

Johanna: Er hat Bettina an den Haaren gezogen, du hast geschrien: „Johanna, meine Haare!“ Aber ich konnte nicht mehr. Er lag auf ihr drauf und hatte den Arm um sie rum. Ich saß daneben mit dem Zelthammer und schlug auf seinen Po ein.

Bettina: Er hat sich immer gedreht.

Johanna: Ich habe ihm auf den Arsch geschlagen, dann hat er sich gedreht und dann hab ich auf die Eier geschlagen und auf den Körper. Ich hatte das Gefühl, wenn ich die spitze Zeltstange hätte….Er hatte schon Stellen am Körper, wo man sah, daß ich zugeschlagen hatte. Da war was in mir: Ich bring ihn um. Gib Ruhe! In dem Moment war bei mir keine Hemmung mehr, das hab ich gemerkt.

Bettina: Ich wollte mich eigentlich rausdrehen, von ihm weg, weil er die ganze Zeit auf mir lag. Ich konnte einfach nicht mehr, alles tat mir weh. Da nehme ich die Hand hoch und habe einen Strick, einen Gürtel in der Hand. Zu Johanna sage ich: Hier…

Johanna: Du hast gesagt: Johanna, Johanna, den Gürtel…. oder du hast ihn mir gegeben.

Bettina: Sie hat ihn rumgelegt und kam nicht so richtig zurecht. Er war bestimmt schon ziemlich schlaff, sonst hätte er mehr versucht. Wir haben den Strick rumgelegt….

Johanna: Dafür haben wir erstmal fünf Minuten gebraucht. Sie immer: Mach doch mal endlich….Das war phänomenal, das Drumlegen. Wir haben dann zugezogen und er war echt weg.

Bettina: Wir hatten kaum zugezogen, da war er schon weg.

Johanna: Ich dachte, das dauert ganz lange. Im Nachhinein kann ich sagen, der war für mich noch lange nicht weg.

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Bettina: Es ist wirklich unglaublich, wie schnell ein Mensch vom Leben in den Tod befördert werden kann. Wie schnell der Hauch des Lebens draußen ist. Das ist faszinierend. Du stehst noch da und er ist weg. Er lag auf mir mit seinem Herzschlag und ich habe es total gewußt, daß er tot ist. Wir haben ihn in den Tod begleitet. Er hat unheimlich friedlich wie ein Kind auf mir gelegen. Ich habe ihn richtig lieb festgehalten wie eine Mutter. Dann hab ich mich von ihm befreit, ihn umgedreht und dann sind wir losgerannt.

Johanna: Ich hab immer noch nicht gewußt, ob er tot ist. Hab noch gesehen, daß er irgendwie atmet. Sah hoch und dachte, da ist jetzt noch einer.

Bettina: Ich schrie: „Johanna, komm!“ Damit sie mitkommt.

Johanna: Wir sind gerannt und waren doch total erschöpft. Einerseits dachte ich, lieber verstecken, andererseits, der kennt sich hier besser aus, der findet uns. An einer Abkürzung zum Dorf, an der Ecke, erscheint er. Er steht gleich wieder vor mir. Als ich dann das Licht sah….

Bettina: ….war Ruhe. Jetzt sind wir gerettet!

Johanna: Also, leben wir noch.

Bettina: Wir sind dann dahin. Ich hab geklopft und die alte Frau kam raus und war tierisch entsetzt.

Johanna: Sie war total verstört.

Bettina: Ich habe ihr vermittelt, daß uns ein Mann vergewaltigt hat, sie sollen sofort die Polizei holen.

Johanna: Ich war dann mit der Polizei unten am Strand und wollte noch etwas aus dem Zelt holen. Ich war dabei ganz ruhig. Ein Mann hat mich gefragt und ich habe ganz cool geantwortet. Er: „Wirklich?“ Der hat mir dann auch gesagt, daß es der Sohn der Familie ist, der beim Militär war. Das war für mich, als würde mir jemand sagen, morgen ist Donnerstag. Obwohl ich ganz da war. Ich bin dann mit den anderen Polizisten allein zurückgefahren. Die waren alle so nett, das kann man sich nicht vorstellen. Warm und sehr menschlich. Während der Fahrt mußte ich mich zum ersten Mal um nichts kümmern, auch nicht um Bettina. Ich hatte endlich Vertrauen. Die Männer waren so väterlich. Eine tiefe Entspannung setzte ein und ich konnte heulen. Als ich Bettina im Revier wieder traf und ihr sagte, es war der Sohn der alten Frau, hat sie nur „Was?“ gesagt. Als wäre ich ein bißchen meise.

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Bettina: Männer sind für mich seitdem ein wenig selbstverständlicher geworden, genauso Frauen. Nicht nur so ein Geschlechtsteil, vor dem ich Angst habe und das mir weh tut. Weil Männer mir was befehlen und sowieso stärker sind und ich für Wärme etwas tue, was ich eigentlich nicht will.

Johanna: Ich weiß jetzt auch etwas besser, was ich von Männern will. Ich kann die Power mehr richten, dorthin, wo ich sie haben will.

Bettina: Die Sache hat mich und Johanna getrennt. Deshalb hat die Geschichte für mich nicht das Geringste mit Sexualität zu tun. Sie hat mit Tod zu tun. Dragos kam mit dem Tod in der Dämmerung, in der Zeit der meisten Morde, in der blauen Stunde.

Johanna: Seitdem ist für mich klar: Ich will leben und es nicht anderen Menschen zuschieben. Ich will aktiv mein Leben gestalten.

Bettina: Ich habe keinen Menschen umgebracht. Ich mußte mich lange fragen, hätten wir wegrennen oder sonst etwas tun können anstatt….

Johanna: Damit es nicht so enden würde….

Bettina: Aber wir haben diesen Mann nicht getötet, sondern wir haben ihm den Strick umgelegt und zugezogen. Ich spüre nicht, daß ich ihn getötet habe. Er ist auf mir gestorben. Ich bin oft mit Dragos in die Meditation gegangen, habe seine Energie gesucht und gesagt, komm mal her, ich will mit dir reden. Damit ich mir nicht was vormache. Aber schon als er im Leichenwagen an uns vorbeigefahren wurde, habe ich ihn gefragt, wie es ihm geht. Schönes Gefühl. Dieses grausame Geschehen hat mich und Johanna getrennt. Deshalb hat die Geschichte für mich nicht das Geringste mit Sexualität zu tun. Sie hat mit Tod zu tun. Dragos kam mit dem Tod in der Dämmerung, in der Zeit der meisten Morde, in der blauen Stunde.

Johanna: Seitdem ist für mich klar: Ich will leben und es nicht anderen Menschen zuschieben. Ich will aktiv mein Leben gestalten. Ich habe mich auch geprüft. Es gab keinen Platz, die Sache anders zu durchlaufen. Ich kann nur sagen, ich bin froh, daß ich lebe. Eigentlich müßte das gefeiert werden.

Bettina und Johanna F. wurden zunächst wegen Totschlags zu vier und drei Jahren Haft verurteilt. Sie gingen in die Berufung. In zweiter Instanz erreichten sie einen Freispruch. Bettina begann mit einer Ausbildung zur Heilpraktikerin, Johanna studiert Sprachen an einer süddeutschen Universität. „Hamburg ist mir zu groß, zu verschlossen,“ sagt sie. Früher wollte sie Ärztin oder Schauspielerin werden, im nächsten Jahr will sie vielleicht nach Amerika gehen. Die Sommerferien verbringen Mutter und Tochter getrennt.

Warum hast du eine so grausame Geschichte aufgeschrieben, werde ich heute gefragt. Was soll das? Ja, was soll das? Unverständlich erscheinen auch mir plötzlich die überbrühten Frauen im spirituellen Indien, die Vergewaltigten, die Aufgeknüpften, die Abgeschlachteten in Afrika. Ich antworte: Unser kultureller Firnis ist dünn, wenn er weg ist, schlagen sich Mann und Frau die Köpfe ein. Wir sind zu unterschiedlich, jeder das Gegenteil vom anderen. Hass und Angst voreinander sind Realität, nicht das Geschmuse, mit dem wir uns besänftigen möchten. Der Widerspenstigen Zähmung, nannte das Patriarchat diese Bemühung, es folgte der Ehevertrag. Zähmungsversuche, in die die Frau einwilligte. Dahinter bis heute und bis tief in die Nacht: Zeter und Mordio. Mehr Mordio. Rainer sagt eben noch zu mir: Deine Tragödie des Schreckens und Mordens hat ein erfolgreiches Ende. Wie, was? Ich verstehe ihn nicht. Was soll an diesem Mord erfolgreich kommunizeirt worden sein? Ich sage: Die Frauen haben die Gewalt des Mannes erfahren und er ihre. Ein klares, aber entsetzliches Gschehen. Was ist daran erfolgreich? Nur Krieg, Morden, mehr nicht. Kein Verhandeln. Rainer daraufhin: Sie haben kriegerisch kommuniziert. Das ist doch erfolgreich. Beide haben einander ehrlich für einen kurzen Moment in die brennenden Augen geschaut. Sowas nennt man erfolgreich. Der Mensch ist des Menschen Wolf. Schon mal gehört, nicht wahr? Ich werde da ganz schnell ganz still. Liebe, die gibt es nicht. Nicht in den Körperzonen. Wo dann?

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