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Christa Ritter's Blog

Imagine there’s no Countries

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Ich bin noch im letzten Weltkrieg geboren. Und auch bei denen, die etwas später auf diesem Planeten auftauchten, schien klar zu sein: Wir würden anders leben. Irgendwie. Anders als unsere Eltern mit ihren tausend Benimmregeln, den hohen Mauern zwischen dir und mir, diesem ständigen Aufstieg, einer Art Gier der Ellenbogen nach mehr. Woher sollte denn dieses ständige Mehr kommen? Indem ich es anderen wegnehme? Mich deshalb schuldig fühle und deshalb als Betäubungsmaßnahme immer mehr kaufen will? Oder sogar in diese Länder reisen, dort meinen Raub touristisch ausgleichen? Was ja nicht geht. Hab ich erst nach eigenen Versuchen gemerkt. Dieses Lebensmodell war krank: Nur die zu lieben, die mich geboren haben, die mich mit ihren Werten einschränkten, natürlich gleichzeitig: einen sicheren Einstieg vorgaben, einen dünnen Faden als ersten Sinn für mein junges Leben. Ich glaube, ich wusste schon als Kind, dass ich mir etwas Eigenes im Unbekannten suchen wollte, vielleicht sogar musste. Dass ich von dem Vorhandenen nicht zu viel aufladen dürfte, wenn ich auf meiner Insel ankommen wollte.

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Ich habe mich dann in ein Nein verrannt, in eine Ablehnung der meisten Möglichkeiten. Ganz sicher. Nach und nach, bis ich wirklich in der Sackgasse ankam. Da war alles aus, eine Depri verdeckt vom unbewältigten Größenwahn. Meine Eltern habe ich gern gehabt und doch ständig enttäuscht. Papi hat wieder Herzschmerzen gehabt und konnte nicht schlafen, sagte mir dann meine Mutter am Telefon und sie klang traurig. Ebenso die Lehrer in der Schule, die Männer, in die ich mich ein wenig verliebte, die Freunde. Kinder, die ich verhinderte. Später schien mir etwas Soziales zu fehlen, etwas mit Bedeutung, das dann die Kinder meiner Nichten und Neffen mit einem anerkennenden Nicken hätten weiterreichen können, wenn sie zusammen sitzen, nachdem sie die Urne mit meiner Asche abgeholt haben. Es war dieses Nein. Irgendwann dachte ich mal: So ein leichtes Leben ständigen Scheiterns führen wir eigentlich alle. Zuerst die Kriegs- und Nachkriegskinder. Weil uns der verlogene Wahnsinn einer autoritären Gesellschaft eine bessere Reise nahe legte, die bis heute anhält. Das war das verborgene Ja. Bei mir hieß es anfangs: Schlingern und schlängeln. Als eine Art Vorbereitung zum Eigentlichen, dem Studium des Sterbens, um zu leben. Weil ich einen Kommunarden fand, der alles anders machte als ich. Dem, als ich ihn traf, bereits vier Frauen auf den Fersen waren, vier verrückte Frauen wie ich, letztlich aber gar nicht so anders verrückt wie die schlingernden Menschen um uns. Plötzlich lebten wir in Wahnmoching, räumlich voneinander getrennt, aber doch eine Art Lebenslabor, eine weibliche Kommune, würde ich sagen, die Außenstehende später Harem nannten.

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Natürlich einen der Dritten Art, in dem sich Frauen versuchten, den unendlichen Blick auf den Mann als einzige Gewissheit umzudrehen, zurückzuholen, um endlich der Liebe näher zu rücken. Sich selbst: Vorher gehts ja mit niemand aqnderem.  Ihr wisst möglicherweise: Zum ersten Mal in der uns bekannten Geschichte wurde durch den 68er Aufbruch so etwas weltweit überhaupt möglich. Dass wir alle miteinander verbunden sind, weil sich das Puppenhaus öffnete. Das Weibliche. Die m/w-Biologie trat zurück, diese enge Identität, und auch wir Frauen beschlossen: Ich könnte jemand werden. Frauen würden zu der männlichen Gewissheit aufschließen. Post-Gender lautete viel-viel später der schöne Begriff für diesen Versuch einer neuen Heimat beider Geschlechter. Bei mir, auch viel später ganz pragmatisch: Piraten, Internet. Also eigentlich: eine Reise durch zunehmende Virtualisierung. Bei mir zunächst und bis heute: um das Nein aufzuheben. Diese ständige Verweigerung der üblichen Standards und genau dadurch in ihnen lange gefangen zu bleiben. Mit meinen 70 bilde ich mir endlich ein, ein wenig in ein Ja zu geraten. Darüber würde ich hier auf dem Blog gern versuchen zu schreiben. Dass auch die jetzigen Jungen mit dieser neuen Heimat allgemeiner Zärtlichkeiten schon sehr cool umgehen lernen, während ich noch immer ins Zweifeln falle. Die, die mich kennen, die von Rainer und den weiteren Frauen irgendwann gehört haben, sind vielleicht schon mal entsetzt gewesen: über die hässlichen Zicken, uns unverständlich Böse, und über die Gewalt, die wir uns zu zeigen erlauben. Um die Botschaft darin zu nutzen, natürlich. Denn es ist immer die eigene. Geht nicht immer gleich gut, viele Verletzungen als Transformationen. Männer haben lange gebraucht, um solch kriegerische Kräfte zu kultivieren. Trotzdem: Da müssen/wollen wir durch. Imagine there’s no countries….

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Eben rief mich Rupert an, ein Freund. Seit zwei Jahren sei er fast immer in etwas, das er eigentlich ist. Es fühle sich gut an. Scheinbar aber sei er Vater und Geschäftsmann. Zwei Stunden früher sah ich in der Sendung Kulturzeit einen Bericht über Peter Gabriel und seine neue CD. Das Wesentliche sei, wenn es still ist zwischen den Tönen. Zwischen! Rainer vor ein paar Tagen: Das Ungesagte, das, was nicht stattfindet, es lohne sich, dorthin zu hören, zu sehen. Plötzlich wusste ich mehr. Also üben.

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