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Christa Ritter's Blog

Langsam: alles irgendwie schön

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Donnerstag 24.1.2013

Wir laufen noch immer langsam ein, sind noch nicht in dieser so anderen Welt angekommen. Oder wird es weiterhin so sein, dass wir erst gegen Mittag etwas verquollen vor die Tür treten, um uns leicht schwerfällig in dieses laute, schmutzige, chaotische, schöne Delhi zu schmeißen? Zunächst natürlich in ein Taxi (schwierig) oder eine Auto-Rikscha (Tuck-Tuck, einfacher), meist natürlich zwei, da sich 8 Leute bewegen müssen. Oder aber wir nehmen die U-Bahn. Wie heute, nachdem wir durch Alt Delhi liefen. Ihr könnt euch vorstellen, dass dort nochmal alles ein paar Etagen verrückter, weil indischer ist als in der neuen City einer sich entwickelnden Mittelschicht. Indien I 011Übereinander geschichtete, nein geklebte, dann in der Luft verankerte Bauteile, alte wie neue, die sich als Lehm, Marmor oder Beton miteinander anfreunden mussten, wie es den Maurern gerade passte. Ein paar Kneuel Kabel wurden irgendwie mehrfach und im Kreuzstich in die Richtung der Dächer geworfen, ich vermute, vom Monsun unterstützt und dann hat so ein wilder Typ mit eng anliegendem schwarzen Turbanstrumpf und flackerndem Blick die Kabelenden mit seinen spitzen Zähnen zusammen gebissen. Pfuitt! Indien I 031Und schon hatten sie Strom, diese Wahnsinnigen, die in den Häusern wohnten. Wir verschwanden schnell in eine enge, etwa drei Meter breite Seitenstraße, weg vom „Boulevard“ mit seinen Müllhaufen, darin, ich hab es genau gesehen, Dal- und Gemüsereste, deren sich keine Kuh oder Hund erbarmt hatte, zwischen Gummireifenstücken und Gebetsblumen, Eisenteilen und Zeitungspapier. Jetzt liefen wir hintereinander durch den Bazar. Die alten Häuser um uns erinnerten mich an Fernsehbilder von Mittelalter-Verfilmungen, wenn die Pest kam, dazwischen Hawelis,Indien I 034 diese alten orientalischen Kaufmannshäuser mit wunderschönen Innenhöfen, wo die Sonne durchfiel, genauso der Schatten entstand. Wir bewegen uns vorsichtig, um nicht in ein tiefes Loch in der Gasse zu stürzen, im Viertel der glitzernd flimmernden Saris mit bestricktem Strass, möchte sehen: Diamanten all over and are auch der Inderin best friends.Indien I 015 Hinter uns hupte es immer wieder, weil durch diese schmalen Bazar-Wege hinter und vor uns natürlich noch die Lieferanten auf Fahrrädern oder Fahrrad-Rikschas sich durchsetzen wollten. Indien I 033Überhaupt: Immerzu wird von irgendeinem Gefährt auf indischen Straßen gehupt. Unaufhörlich, nervig ohne Ende, aber zu aller Mensch Sicherheit. Haarscharf schafft man so den unendlichen Fluss eines Volkes in ständiger Bewegung. Wie das berühmte Symbol: Rad des Lebens. Alle rennen irgendwohin, um zu leben, für ihr Leben und doch liegt darin zugleich ein geheimnisvoller Stillstand. Jutta stolpert fast über eine sterbende Ratte, die Menschen starren uns unverwandt an, seltener scheinen hier Europäer aufzutauchen. Brigitte schaut unglücklich, könnte kotzen und will am liebsten raus aus dieser Hölle, sagt sie. Hier sei es schmutzig und hässlich. Sie ist blass, verzieht ihr Gesicht. Jutta wirkt eher munter, fotografiert, beobachtet. Auch mir geht es gut, obwohl mir die Beine langsam weh tun. Ich würde Brigitte glatt widersprechen: Ich sehe Schönheit und – sicher Schmutz – aber der verhindert nicht mein Gefühl des Wohlwollens. Wenn ich jemanden anlache oder grüße, grüßt er sehr freundlich zurück. Vor allem die Frauen lachen. Wie geht das alles mit den Nachrichten von Vergewaltigung zusammen? Um etwa 18 Uhr ist es dunkel, schon eine Stunde später siehst du fast nur noch Männer auf der Straße. Zum Abschluss besuchen wir noch einen großen Tempel, der dem Guru Teg Bahadur Sahib geweiht ist. In einer Kammer unter dem Altar ist sein Grab, golden ausgestattet zur Beseelung der vielen Gläubigen, die wie wir auch, sich zunächst die Schuhe ausziehen, sie an einer Garderobe abgeben, um zur Reinigung durch ein Wasserbecken zu schreiten. Dann wird man segensreich in einer Ecke aus Marmor mit heiligem Gangeswasser bespritzt, der Rest aus der Schale getrunken. Im Hauptschiff des Tempels läuft eine Zeremonie, die ich nicht verstehe: Ein Priester wedelt immer wieder mit einem weißen „Pinsel“ und rezitiert heilige Texte, während drei Musiker sehr schöne Musik chanten und spielen. Die Gläubigen knien, sitzen, meditieren, bewegen sich. Draußen treffen wir auf eine Gruppe stolzer Sikh-Krieger-Mönche (wohl kein Widerspruch!) in blauen langen Kleidern, mit hohen blauen Turbanen, darauf vorn eine goldene Nadel mit ihrem Orden, an der Seite der Dolch, einer trägt ein glänzend blaues Schwert. Sie wirken majestätisch mit ihren verwitterten stolzen Gesichtern, dem wilden Blick, ihrer nur im Norden der Sikhs üblichen Körpergröße. Doch auch sie leben vom Betteln auf ihrer Wanderschaft und betteln auch, als wir sie fotografieren und filmen.

Für die Städter beginnt die Rush-Hour. Um in der U-Bahn nicht zerquetscht zu werden, müssen wir uns beeilen. Aber der Verkehr vor dem Tempel ist längst dichter geworden. Wir versuchen, uns so schnell wie möglich durch dieses Gequirle zu schlagen. Ich streichle schnell das Maul einer wunderschönen weißen (heiligen) Kuh am Straßenrand Indien I 036und dann stehen wir zwar bald in einer U-Bahn, geben beim Umsteigen, zwischen diesen rasenden Massen, schubsend, quetschend, doch auf und hetzen an die Oberfläche des Molochs. Endlich frische Luft, wenn auch versetzt von Smog.

Ihr könnt euch vorstellen, wie wunderbar beruhigend mir nach solchen herrlichen Ausflügen mein weiches Bett erscheint. Vorher aber noch: Lauwarmes Duschen, frische Früchte usw.

Freitag, 25.1.2013 

Jutta will heute mal ausspannen und sucht etwas Ruhe. Der gestrige Tag hat sie ganz schön geschlaucht, dennoch begeistert, wie sie sagt. Das Filmteam schließt sich ihr an, auch ich bin glücklich über dieses Ein-Gang-Runterschalten. Als wir mittags vors Hotel treten, rasen mit lautem Siegesgebrüll Motorradformationen an uns vorbei. Darauf Männer, die gerade ihre lokale Wahl gewonnen haben und den Sieg mit Jubel und Victory-Zeichen durch die Straßen tragen. Es sind noch immer mittags nur 19 Grad, heißt es. In der Sonne fühlt es sich nach mehr an, im Schatten sind Pullover und Mantel von Vorteil. Heute wollen wir einen „leisen“ Park aufsuchen und möglichst noch ein indisches Disneyland, das 2005 nach fünfjähriger Bauzeit eröffnet wurde: der Swaminarayan Akshardham Tempel.Akshardham Temple Noch liegt er im Dunst der Sonne als wunderschöne Silhouette mit seinen Türmchen und Streben in weiter Ferne. Doch je näher wir kommen, umso härter und kolossaler wird diese gigantische Tempelanlage in rotem Stein und innen sehr viel Gold und Marmor. Es scheint mir ähnlich einem Fußballstadion: Alles Elektronische abgeben, du wirst gefilzt, läufst durch Absperrungen, die den Ansturm regeln soll. Fast nur Inder-Touristen und Gläubige. Der Tempel ist dem Bhagwan Swaminarayan aus dem 18.Jahrhundert geweiht, dessen Wissen heute vom Guru Pramukh Swami Maharaj weiter gegeben wird. Durch endlose Teachings per Film und Fotos, durch die Nachahmung (kitschig und doch auch beeindruckend) alter Tempel-Abbildungen der hinduistischen Götterwelt und der Tugenden, die ins Nirwana führen. Wir lästern: Hohenschwanstein, der Ludewieg, der wusste auch schon manches, Schönbrunn, Kölner Dom hoch zwei, die Wall Street als Super-Tempel der USA auch ähnlich. Irgendwie Götzendienst, autoritär auch als Tempel-Anlage. Indien II 003Indien II 004Dann geht’s  auf erstaunlich leeren Straßen (dabei so voll wie bei uns im Traffic-Jam) zurück ins Hotel. Zweimal werden wir von der Polizei angehalten: Kontrolle der Taxifahrer. Absperrung einiger Straßen für morgen: Republic-Day ist die Feier der Unabhängigkeit und damit der wichtigste Feiertag in Indien. Da ist was los, droht Danny.

Wir essen dann eher schlecht, finden wir Frauen. Der Saft einer frischen Kokosnuss erleichtert die Verdauung.Indien II 012Dann lassen sich Brigitte und ich noch von einem netten Tuch-Verkäufer verführen. In seinem winzigen Laden breitet er vor uns Pashmiri/Kashmir-Schals aus, wir probieren die Kostbarkeiten aus und dann kommt auch noch Jutta dazu. Drei Frauen freuen sich auf dem Weg zurück zum Hotel über ihre drei roten Schals, jeden für € 35 – wir finden, ein Schnäppchen, das uns auf der Fahrt in den Norden wärmen wird.

Ein Kommentar

  1. Wunderschön!
    Wie gerne ich das gelesen habe. Unbedingt mehr davon!
    Schauen, beobachten, schrieben. Un dann Poesie. Ohne es einer irgendwie gearteten Haltung unterordnen zu wollen/müssen.
    Toll!

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