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Christa Ritter's Blog

Wie war Indien?

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Über zwei Frühlings-Monate, die meist eher winterlich daher kamen, sind wir schon aus Indien zurück in München. Wenn ich mein kaum beschriebenes MeraH-Blog dieser Zeit anschaue, bin ich ratlos. Was schreibe ich, wenn ich nicht reisend in Farben, Lärm und Chaos zu versinken glaube? Aber es ist wahr, wir/ ich haben uns nach der Reise erstmal immer wieder zusammen gesetzt. Was ist uns in den sieben Wochen um die Ohren geflogen? Warum war außer der geschwächten Jutta  jeder mal krank, warum haben wir so selten über unsere Probleme geredet? Und ganz wichtig: Hat sich dieser Ausflug an die Wiege der Spiritualität dennoch gelohnt? Für uns Nebendarstellerinnen, aber vor allem für die, die den größten Druck hatte, die erste Pilgerin?

Dass solche Fragen unter uns erstmal in heftige Shitstorms münden, könnt ihr euch denken. Jutta, die die Hauptperson der Doku ist, beginnt noch ruhig: Brigitte und du, ihr habt mich hängenlassen, statt mir beizustehen. Denn vor der Reise wart ihr mit dieser Aufgabe einverstanden. Jutta hat recht: Tatsächlich hatte sie zu Anfang der Planung überlegt, ob sie mit Rainer allein reist. Ziemlich bald fragte Jutta aber zunächst Brigitte, ob sie mitfahren würde, um ihr ein wenig beizustehen. Um ihr zum Beispiel frisches, statt verkochtes Essen zu besorgen. Brigitte überlegte und willigte dann ein. Kurz vor der Abreise fragte Jutta auch mich. Irgendwie wollte sie nicht, dass eine von uns zuhause bleibt, erklärt Jutta. In einer Vorbesprechung begann sich durch unsere Beteiligung an der Reise auch das Konzept für die Doku zu verändern. Ich erinnere, Rainer schlug dem Regisseur und der Produktion vor: Statt Pilgerreise könne es ein Dschungelcamp und sogar mehr werden. Also weniger die Pilgerreise einer Frau, als durch uns breiter personal angelegt, eine Doku über Selbstverantwortung und inneres Wachstum. Diese Erweiterung des Vertrags, in den wir dann, vielleicht etwas murrend einwilligten, verlor ich auf der Reise etwas aus den Augen. Ich wollte vor allem von meiner Beschuldigung anderer wegkommen, mich wie Jutta geistig verbessern. Ähnlich hatte sich auch Brigitte geäußert. Wir alle Drei waren guter Dinge, als wir abflogen.

Aber bei unserer nachträglichen Analyse der Reise wiederholt Jutta bei jedem Treffen dieselbe Beschuldigung: Wir hätten uns zu wenig bemüht, sie zu unterstützen. Deshalb hätte sie immer wieder gedacht, wir seien mit unseren Querelen eine Last und sollten am besten nachhause fliegen. Brigitte und du habt nur Geld gekostet und die Reise verlangsamt. Ihr habt schlechte Stimmung verbreitet und wart auch noch ständig krank. Empörung bei mir, bei Brigitte. Ich habe mich so weit wie möglich bemüht, widerspreche ich. Damit meine ich nicht nur das Blog mit dem Reisereport, sondern auch, dass ich mich deinen Bewegungen angepasst habe. Zumindest so weit ich konnte.

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Wir fassen nochmal zusammen: Rainer spielte in Indien Juttas Begleiter. Damit war er nicht mehr wie hier in München, häufig an Brigitte’s Seite. Brigitte steckte also in einer schwierigen Lage: Ihre negative Seite, die trotz all der Bemühungen der letzten Jahre immer noch mehr auf Besitz setzte als ihr bewusst war, schrie auf. Das Problem ahnte sie wohl von Anfang an, wollte sich dem aber letztlich stellen. Dann aber war sie ziemlich überfordert: Rainer hatte sich in ihren Augen als primärer Partner verdrückt und sie aus ihrem Nest geschmissen. So ihre Sicht. Rainer fehlte ihr daher wohl auch als spiritueller Begleiter. Schon am 10. Tag der Reise in Varanasi strauchelte sie. Heftige Schmerzen: geschwollenes Fußgelenk, Zerrung. Brigitte sucht nach einer Erklärung: Vielleicht wollte ich nicht nur rumhetzen. Nach schlaflosen Nächten wollte ich endlich auch in Indien ankommen und Varanasi war nicht der schlechteste Ort dafür.

Worüber bin ich gestrauchelt? Anfangs habe ich meine Schwierigkeiten kaum bemerkt, wollte wie sie der Herausforderung dieser Reise unbedingt gewachsen sein. Dann aber war meine Eifersucht auf Jutta, nicht im Mittelpunkt der Doku zu stehen, doch stärker als ich dachte. Ebenso machte mir das Tempo der Reise zu schaffen. So viel Stress in einem so vielfältigen Land ließ keine Kreativität aufkommen. Zunächst. Bis ich in Dehradun hohes Fieber bekam, das mich dann drei Tage ausknockte. Ich konnte endlich zum ersten Mal ein wenig nach Innen verschwinden. Das kostete die Produktion Geld und Zeit. Sabotage, so sah es Jutta.

Sie strauchelte nicht, hat sie alles richtig gemacht? Wir bezweifeln das. Ja, sie war durch den Krebs vielleicht entschlossener als wir. Andererseits fiel auch ihr die Reise nicht immer leicht und sie versank im dunklen Loch von Ndeid und Unterstellung. Deshalb tauchte sie manchmal nachts in Rainers und meinem Zimmer auf, suchte dann im Gespräch seine Hilfe. Mehrfach passierte ihr Absturz auch auf einer Zugfahrt, so dass Regie/Kamera schnell reagieren konnte. Ihre Ausbrüche wurden gedreht. Jutta schrie auch vor Todesangst bei der Unwetter-Attacke während eines Fluges, war trotz Rainer’s Beistand immer wieder eifersüchtig auf Brigitte. Ja, ich habe euch oft nicht ausstehen können und war voll böser Gedanken, gibt sie zu. Wir haben uns gegenseitig nichts geschenkt?

Daher keine leisen Aufenthalte, wenig Gespräche, kaum Pausen. Pilgerreise? Erhebliche Schwierigkeit machte mir nicht nur meine Nebenrolle. Ebenso schwierig fand ich, plötzlich als Einzelgängerin mit 8 Leuten zu reisen, sich freundlich zu koordinieren. Rainer erinnert uns: Der gemeinsame Vertrag lautete anders, da hat Jutta recht. Ihr habt euch verweigert, habt ihn durch eure ständige Sabotage nicht eingehalten. Das hat sie auf ihre Weise auch nicht ausreichend getan. Rainer gibt dann einen wichtigen Hinweis: Jutta hat euch auch als Ersatz für ihre Zwillingsschwester, für Gisela mitgenommen. Ihr wart somit als negatives aber auch positives Gegenüber vorgesehen. Das ist interessant, denke ich. Und die positive Unterstützung hat in dieser Rolle gefehlt? Auch darüber haben wir vorher gemeinsam gesprochen, so Rainer. Ich verneine vehement: Das haben wir so vorher nicht besprochen. Eine Gisela wollte ich nicht, kann ich gar nicht spielen. Brigitte daraufhin: Jutta das Rohkostessen so wie zuhause zu servieren, habe ich in Delhi anfangs noch versucht. Dann war das Jutta plötzlich aber nicht mehr wichtig. Sie fing an, das indische Essen zu lieben und kam mit uns allen in die Restaurants. Da hatte ich diesen Job an ihrer Seite verloren. Rainer: Darum geht es doch nicht nur. Was hast du stattdessen gemacht?

Brigitte und ich als die beiden Nebendarstellerinnen für Jutta und ihren Film. Haben wir nur schlecht gespielt? Severin, der Regisseur, der bei unseren Münchner Vorgesprächen nicht dabei war, zeigt sich nicht unzufrieden: Ohne unsere Shitstorms wäre die Reise anders verlaufen, vielleicht sogar langweilig. Dass wir nicht so schlecht waren, hätte Severin an den letzten Tagen in Rishikesh gesehen. Dort drehte das Team wenig, während Brigitte und ich sich in Varkala etwas annäherten, um auch im Blog Gemeinsames zu posten. In Rishikesh hätte Jutta zwar während der letzten Tage ihren schönsten Reiseort erlebt, wie sie sagt, aber die drei Tage seien still verstrichen, sehr introvertiert. Wenn die ganze Reise so verlaufen wäre, so der Regisseur, wäre das Doku-Material wohl weniger spannend geworden. Rainer hält solche Vermutung für Unsinn: Eine gute Doku muss nicht aus ständiger Action und bunter Folklore bestehen. Wir hätten, wenn ihr euch kreativer beteiligt hättet, den ganz anderen Film einer wirklich inneren Reise gedreht. Ich zweifle, dass man Inneres in einen Film packen kann. Film sind äußere Bilder, sage ich. Siehst du doch an Terrence Malick, sehr problematisch.

Wieder treffen wir uns, erneut holen wir die Bilder der Reise zurück. Ich erinnere mich, dass Jutta anfangs durch ihren Krebs mitgenommen aussah. Aber je länger wir reisten, umso besser wirkte sie. Weil sie sich reingehängt hat in dieses Vorhaben, ihre Pilgerreise, so Rainer. Sie hatte durch ihre Krebserkrankung mehr Druck als wir beide und war kreativer, weil sie sich deiner Unterstützung immer sicherer wurde, knurrt Brigitte. Sie stichelt weiter: Wenn einem ständig das Gefühl gegeben wird, nur mitgeschleift und eigentlich von der Hauptdarstellerin nicht erwünscht zu sein, die tagsüber durch die Lande rast und nachts den Schmerzen ausgeliefert ist, fällt dir eben nichts mehr ein… Sie hätte, ähnlich wie Jutta, oft überlegt abzureisen, weil sie sich eher unter- als überfordert fühlte. Brigitte und ich geben zu bedenken: Leider gab es während der Reise nur drei größere Gespräche unter uns allen, in denen wir Ältere durchaus mehr Ruhe für innere Bewegung, auch solche Bilder vorschlugen. Aber die Regie war damit wohl überfordert, genauso wie mit unseren Nebenrollen. Langsam erkenne ich: Brigitte und ich hätten mehr Druck machen müssen, konkrete Vorschläge verhandeln, um hier eine Änderung durchzusetzen. Letztlich haben wir uns zu wenig getraut. Sabotage, Resignation, daher Krankheiten. Wir nahmen offensichtlich unsere Nebenrollen wörtlich und damit nicht ernst genug. Als selbst verschriebene Anhängsel von Jutta überließen wir die Reiseroute dem Regisseur, statt in allen Belangen etwas Zusätzliches einzubringen. Aber Brigitte wehrt noch immer ab: Dafür waren wir beide nicht zuständig, da hätten sich auch Mutter/Hauptdarstellerin, Sohn/Regie und Begleiter Rainer von Anfang an mehr mit uns zusammen tun müssen,  um schließlich alle für einen etwas anderen Film zu gewinnen.

Jutta kam also, anders als Brigitte und ich, wesentlich positiver aus Indien zurück. Unerwartet fand sie erst in München durch eine Empfehlung einen indischen Lehrer, der sich gerade in London aufhielt. 969558_10201199360095790_646500703_nJutta und Gisela flogen zu ihm und holten sich die Unterweisung, die Jutta eigentlich auf ihrer Indienreise erhofft hatte. Dabei gilt es u.a. darum, freundlich das Ego zu entmachten. Jutta konnte dadurch auch ihren Frieden mit uns und diesem gemeinsamen indischen Film-Abenteuer schliessen. So weit unsere bisherige Wahrheitsfindung. Dass ich darauf hin so lange blogmäßig verstummte, deutet vielleicht an, wie komplex und heftig die Nachbearbeitung dagegen bei mir ablief und noch immer läuft. Doch langsam werde ich sicher, dass wir alle Drei die Reise durchaus dazu nutzten, unseren eigenen Blickwinkel zu erweitern. Vielleicht nicht ganz so, wie wir erhofft und uns verabredet hatten. Aber immerhin konnte jede einen neuen Ansatz für sich finden, sagen wir abschließend. Wie sieht der aus? Wo zeigt er sich? Bestimmt nicht darin, dass wir die Realität dieser Reise weiter leugnen. Jutta ist freundlich geworden, sagt heute, es sei die schönste Reise ihres Lebens geworden. Aber der Krebs bleibt aggressiv. Brigitte versucht ihre Bilanz: Seit Indien ist etwas vorbei und meine Gefühle wirbeln mich ganz schön durcheinander. Ich musste meinen Besitzwahn und meine Verlassensängste schmerzhaft sehen und jetzt manches verändern. Ich hoffe, dass ich mich zunehmend für Neues öffnen kann. Ich habe also durch die Reise zugelegt. Hab ich das auch, frage ich mich. Zunächst sieht es für mich eher so aus, als wären meine Widerstände nur lauter geworden. Ich hatte sie also vorher auch, kann sie nur besser zeigen? Auch habe ich, eine Extravertierte, mich trotz meiner Widerstände auch fordern können. So fühle mich stärker als Gestalterin meines Tuns, zuversichtlicher als zuvor. Sind Jutta, Brigitte und ich somit tatsächlich ein wenig lebendiger geworden, wenn wir seit Indien weniger andere beschuldigen, mehr Verantwortung suchen, sogar endlich auch darüber schreiben? Übungen in Liebe…

 

 

 

Ein Kommentar

  1. beschuldigen heißt doch, in der Vergangenheit zu leben, nicht wahrhaben wollen, was man selbst ausgelöst hat? Aber dazu gehört auch, daß man nicht immer auf andere schaut, nicht Ausschau hält, wie sich ein anderer entwickelt hat – in dem Text lese ich mehr vom Schauen auf die anderen, weniger vom Wahrnehmen des eigenen Selbst – oder geht es nur ums Wahrgenommenwerden (die große Show?) – um nichts sonst?
    Bei den Streitereien fehlt mir jeder Ausblick – das ist immer nur Rückwärtsschau zu erkennen: „Ihr habt das und das falsch gemacht“ – aber was hilft denn das? Wo ist das Positive „Laßt uns das doch in Zukunft so oder so machen?“ (Neuwerdung!) – ist das völlig vergraben, vergessen – darf das nicht sein? – Die Vergangenheit ist leicht zu durchforsten – aber die Zukunft? Muß man da nicht was ändern, das man/frau aber so gar nicht – nein, nein! – ändern will? – Na ja, Rainer ist ja auch immer der gleiche … liegt es daran????

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