merah.de

Christa Ritter's Blog

Im Innern des Wals

| Keine Kommentare

Ich war also 1978 die Letzte, die in dieser Community eincheckte und stürzte mich erstmal auf geheimnisvolle Bücher, von Sehern und Geistheilern, über Inkarnationen und Jenseitiges, entdeckte darin verzauberte Welten von früheren Suchern und wunderbar Verrückten. Die Deutschen können viel davon vorweisen, alles durch die Nazis vergessen, nach Amerika exportiert oder vom Hades verschluckt. Hatte ich eben in diesem Neuland den Anker ausgeworfen? Heilsgeschichten… Hoffentlich! Jede hatte, ohne dass es bewusst war, ihre eigene Nachtmeerfahrt angetreten.

10156128_855999414415671_8178775781624234205_n

Schließlich hatte Rainer uns deutlich gemacht, er würde nicht unser Spiel spielen: kein Kniefall vor einem hübschen Frauenkörper. Nicht bewusstlos im Rausch des Blutes oder so ähnlich, versprach er. Oder: keine Macht der Hüfte, keine Macht den Sinnen. Da würde er radikal sein. Auf diese Weise, erläuteret mir der todernste Rainer dann weiter, kümmerte er sich, ohne dass er es beabsichtigt hätte, also nur von uns erwählt, um uns Körper-Frauen, die offensichtlich an ihrem mangelnden Geist litten. Ganz schön arrogant, der Mann, kochte es in mir hoch. Es dauerte nicht lang, dann überwog Dankbarkeit. Denn Rainer hatte recht, mir ging es schlecht und konnte es doch nur ganz schwer zugeben. Eigentlich konnte ich nichts zugeben. Doch: Unsere Konstellation war großartig und für mich letztlich eine Gnade. Der 68er Anfang einer neuen Welt ging weiter. Hier am Hohenzollernplatz: Schritt um Schritt in das Innere des Wals. Natürlich hatte ich mir diese neuen Freunde herbeigezaubert: Denn ich litt an einer tieferen Einsamkeit, an dieser flachen, oberflächlichen Welt, letztlich an der leeren Nuss, wie ich mich inzwischen verkannte, an meiner Biologie, die bisher trotz mancher Highs  alles in mir bestimme, ganz automatisch, ohne sie wirklich infrage zu stellen. Zwischen-Bilanz: Hamsterraddenken, mehr nicht, wie ein Schaf im Kreis. Angst vor meinen Gefühlen, Angst, dass ich erblinde, sobald ich sie auch nur aufsuchte. Wegen dieser Verklemmung schrie ich nicht auf, wenn mich Rainers Erkenntnis-Blitz traf. Weshalb die Frauen zu recht maulten: Dass du so ruhig bleibst, gleichgültig, verstehen wir nicht. Ich hatte wie die anderen Frauen mit Rainer eine Verabredung, hatte eine Art Vertrag geschlossen: Er würde mir helfen, mich kennenzulernen, auch gegen meine Widerstände an mir zu arbeiten. Rainer würde mich immer unterstützen,  um meinen dicken Panzer zu knacken. So hatte ich mich für das erste Semester meines Studiums entschieden: Zunächst lagen Tapes und Bücher haufenweise auf meiner Matratze. Eine einzige Matratze und wenig mehr Karges als Mittelpunkt des neuen Lebens. Und diese unendlich vielen Tapes, weil wir alle Gespräche aufnahmen und die leiseren am Telefon noch dazu. Das Private ist… was?

Rainer schneidet Brigitte's Tram-Haar ab

Rainer schneidet Brigitte’s Traum-Haar ab

Brigitte (früher internationales Fotomodell, Schauspielerin, unverheiratet): Ich bin hier, weil ich etwas lernen will, was man mit Geld nicht kaufen kann. Etwas, das meine innere Traurigkeit berührt. Durch diese Bücher, durch unsere Gespräche fängt in mir etwas an zu leben. Das ist schön und verstärkt meine Sehnsucht, nicht mehr alles in der realen Welt haben zu wollen. Eigentlich will ich auch eine zweite Uschi werden und denke, dann wird der Mann meine eigene Leere füllen. Bisher habe ich mich hinter solchen Beziehungsspielen immer den Männern verweigert und plötzlich traf ich auf das Gegenteil: Rainer verweigerte sich mir. Der Hammer! Und dann noch ihr anderen Frauen als nächster Horror. Ich fange an zu begreifen, dass ich meinen Horror zum Freund machen muss.

traurig mit Freunden, irgendwie und nirgendwo

traurig mit Freunden, irgendwie und nirgendwo

Ich (Verlagskauffrau, Art-Buyer, Agentin, Regie-Assistentin, unverheiratet): Ich kam mir, als ich Rainer begegnete, hinter meiner fröhlichen Fassade alt und traurig vor. Als wäre ich schon gestorben. Solche Schmerzen wollte ich damals mit dem Filmemachen heilen. Würde ich dieses Spiel mitmachen können und irgendwann ein berühmter Regisseur werden? Denn ich wollte wirklich einen Oscar gewinnen! Was Rainer dann so von sich gab, drehte meinen Plan upside-down. Eine verdrängte Stimme, die intuitive innere, meldete sich: Genau, genau! Wogegen sich schnell die herrschende Oberfläche empörte: Der hat ja wohl nicht alle Tassen im Schrank, der wird dein Untergang. Etwas tief in mir aber blieb ganz ruhig. Diese leise Stimme oder war es die Leere, wusste, sie hatte sich, statt sich umzubringen endlich Hilfe gesucht. Ich würde mich irgendwann nicht länger selbst verachten, sondern mich lieben lernen. Brigitte: Ich war gerade mit meiner großen Liebe gescheitert. Wieso will ich dann nochmal ran und die zweite Uschi werden? Ein Widerspruch. Dennoch war für mich bedrohlich, dass es neben Rainer eine Jutta gab.

Jutta mit Rainer

Jutta mit Rainer

Jutta (Filmemacherin, Schauspielerin, eine frühe Ehe, später zwei Kinder): Mir gefielen schon diese wilden, schönen Kommunarden in Berlin. Weniger Rainer, den fand ich gar nicht so schön. Sexy fand ich den Baader, der war ein Abenteurer und wild und gefährlich.

Anna (Fotografin, Musikerin, später eine Tochter) wacht auf: Wer war sexy?

Jutta und ich (laut): Der Andreas Baader!

Anna mit Rainer auf Mykonos

Anna mit Rainer (re.) auf Mykonos

Anna: Rainer habe ich noch vor dir durch meine Schwester kennengelernt. Der hat sie so geflasht, dass sie geradezu vom Unbewussten überschwemmt wurde und prompt in der Heilanstalt landete. Auch ihr tödlicher Autounfall hatte mit diesem neuen Leben zu tun. Rainer zog dann bei mir in die Besenkammer ein. Mir gefiel, dass er nicht so plump sexuell daher kam, sondern eine feine, sensible Art hatte. Mir schien, als rutschte mir dadurch etwas von unten nach oben. Das interessiert mich.

Jutta: Nach Indien bist du aber ohne ihn gefahren.

Anna: Mich hat natürlich bedroht, dass du aufgetaucht bist. Ich spürte durch dich einen entsetzlichen Schmerz in mir und wollte unbedingt davor fliehen.

Jutta: Ich war noch nicht ganz so desillusioniert wie ihr mit euren früheren Beziehungen, als ich Rainer traf. Ich dachte noch, wir fliegen aufeinander und es wird eine tolle Liebesgeschichte. Aber dann war es das absolute Gegenteil. Er war entschlossen, diesen geistigen Weg zu gehen, eine ganz andere Art von Revolution, die für mich alles, was ich kannte, auf den Kopf stellte. Du bist gerufen, sagte er zu mir.

Brigitte: Rainer hat uns sehr schnell klar gemacht, dass er keine von uns wollte. Mich traf sein Satz: Du kannst nicht weinen. Da war ich total schockiert. Von mir hatte noch niemand verlangt, dass ich Gefühle zeige. Bei mir war alles Trug und Schein und als ob.

Ich: Als ich auch noch euch kennenlernte, kam ich mir besonders daneben vor. Ihr würdet meine Lügen schnell durchschauen. Ich hatte richtig Angst vor euch. Mir schien, ihr kanntet euch schon etwas aus in dieser neuen Welt der Selbsterkenntnis.

Brigitte: Das war der Hammer, als Rainer noch eine anbrachte. Anna: Rainer hat uns alle erotischen Gewissheiten aus der Hand geschlagen. Immerhin hörte ich etwas Wunderbares: Es gibt Trost! Das hat mich umgehauen.

Ich: Auch mich hat eine Bemerkung von Rainer besonders getroffen: Du versteckst dich hinter einem kleinen Jungen, der durch die Landschaft zappelt. Im Stillen ergänzte ich: Du bist keine tolle Frau, schon gar kein Genie, du bist ein kleiner Fuzzi. In deinem Kopf sind nichts als Meinungen und Ideen anderer, nichts Authentisches. Ich spürte darin schockartig die unglückliche Vatertochter und ihre Anpassung an die Welt, indem ich sie verweigere. Es gibt noch immer nichts Echtes bei mir, ich weiß nichts über mich, geschweige denn über mein Inneres.

Jutta: Wir suchen uns dieses Labor, ob wir wollen oder häufig auch nicht. Selbst wenn alle immer wieder glauben, auch wir, dass es Rainer ist, der uns versammelt…

Ich: …und verhext.*

Trotz Frauenbewegung und Gender-Visionen immer noch und überall: Es war der Mann, der tat, nie die Frau. Auch diesen verhängnisvollen Knopf im Ohr wollte ich unbedingt los wenden. Kein Opfer bleiben! Die Frau könnte psychischer angelegt sein, nichts Genaues wusste ich nicht. Fand ihre Täterschaft also anders statt. Eher draußen unsichbar? Sah sie sich deshalb als Frau im Schatten? Um unser Nichtwissen und dieses entsetzliche Unbewußte von uns Frauen aufzulösen, möglicherweise dabei unsere Täterschaft zu entdecken, würden wir im ersten Semester miteinander Schattenarbeit machen. Wir würden aus dem patriarchalen Konzept des Schattens heraus treten und selbstbewusste Frauen werden. Wie verlernte man ein verinnerlichtes Konzept? Alles alte Tun weglassen, das nämlich, was ich gelernt oder übernommen hatte und daher in diese Leistungsgesellschaft passte. Ich suchte die Stille auf: Einfach zum Beispiel auf der Matratze sitzen, mehr zuhören, sein lassen, auch tagelang an einem Seeufer liegen. Nichts von fest gefahrener Automatik, hamsterradmäßig. Sowas war schwer, richtig viel Arbeit! Solche tägliche, mir bisher unbekannte Muße als andersartiges Arbeiten verschaffte mir langsam ein wunderbares Gefühl von Weite. Wir fuhren bei fast jedem schönen Sommertag raus auf’s Land, meist an die wild strömende Isar in der Pupplinger Au und stürzten uns zwischen tiefgründigen Gesprächen nackt in den Fluss.

1385514_10200488419247545_70595186_n

Auch solche Entspannung musste ich erst lernen. Oder wir rannten nebenan durch den Luitpold Park spazieren, immer laut diskutierend, oft sogar schreiend, jedenfalls aufgeregt-erregt, sich mit aufgerissenen Augen und Ohren dem Eigentlichen nähernd. Wie vielleicht früher die Privilegierten, die, die sich um die schnöde Arbeit für den Lebensunterhalt nicht kümmern mussten. Adelige Nichtstuer – Anderstuer. Doch Zweifel tauchten auf, erhebliche Zweifel. Ich wollte doch noch so viel draußen erreichen! Mich kreativ ausprobieren. War ich in unter diesen Verrückten dazu verdonnert, mein eigentliches Leben zu verpassen? Nein, hörte ich meine andere Seite, die leise: Wir stecken mitten in heilsamer Arbeit! Übernommene Sichtweisen aufbrechen, Meinungen von Papi und Mami, von den bürgerlichen Schullehrern und den vielen anderen Besserwissern, die mich sowieso nie wirklich überzeugen konnten. Wusste ich nicht längst, dass eigentlich alles ganz anders ist? Endlich wildes Denken und Handeln als Encounter üben, Gewohnheiten hinterfragen. Eigentlich: Irgendwie diesen trägen Körper wenigstens für Sekunden hinter sich lassen, damit etwas Echtes passierte. Etwas Wesentliches. Der Geist, würde Rainer vielleicht wieder großspurig antworten. Ach ja, was für ein Aufstand! Ich atmete tief durch, um danach ein wenig leichter und stiller, etwas verändert zurück auf meine Matratze zu kriechen. Hohe Zeiten!

* Das Gespräch zwischen uns erschien im Taschenbuch „Das Harem-Experiment“ von Jutta Winkelmann (Heyne 1999)

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Zur Werkzeugleiste springen