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Christa Ritter's Blog

Wie es mit dem Harem anfing

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Seit etwa 1974 lebten bereits Jutta und Brigitte eher irgendwie und ungeplant in der Nähe dieses unbeugsamen Suchers, als würden Frauen damals nicht planen, sondern inspiriert vom 68er Aufbruch und entsprechendem Übermut, scheinbar Kopf über, sogar in das heftigste Abenteuer ihres Lebens stolpern. scan0467Es gibt bei uns Dreien, später Vieren und zweitweise Fünfen, in jener Zeit trotz aller Verschiedenheit manche Ähnlichkeiten. Jede hat, als ich dazu komme, schon viel ausprobiert: Mehrere Ehen oder Beziehungskisten rauf und runter, exotische Reisen und noch exotischere Drogen, Abtreibungen und Geburten, missverstandene Begabungen und andere Kruditäten, die sich  Frauen gewaltsam antun, bevor sie sich dem möglicherweise Eigentlichen zuwenden (von meiner ersten Lebenshälfte erzähle ich euch noch in späteren Kapiteln). Nach vielerlei Scheitern behauptet jede von uns daher jetzt mit Nachdruck: Ich wollte schon immer mehr als die übliche Speisekarte bietet und jetzt bin ich zum Absprung bereit. Sehnsucht im Herzen: Die Entdeckung von etwas Größerem, möglicherweise der geistigen Seite, bei Frauen bisher weitgehend unbekannt. Weil jede nur auf Männer starrte. Nie auf sich selbst. Bei mir zum Beispiel: Deshalb ständig anti, daher autoritär fixiert, ängstlich also feindlich, nix Authentisches. Aber für jede von uns gilt der gleiche, noch unbewusste Plan: Den Blick auf sich selbst umlenken, ungestört von den bisher so nützlichen, doch veralteten Programmen oder abgestandenen Verführungen. Wir werden also gemeinsam ein virtuelles Labor erfinden.

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Eine weibliche Kommune! Darin könnte ein einzelner Mann, noch dazu ein entschiedener Sucher, drei oder vier Frauen nicht dazu verleiten, ganz automatisch ihre so vertraute Beziehungskiste anzuwerfen. Manchmal taucht in Rainer’s Nähe eine rotgelockte Anna auf und verschwindet wieder. Wie Jutta hat sie gerade ihr erstes Kind, die Tochter Johanna bekommen. Nicht von Rainer. Juttas Zwillingschwester Gisela wohnt mit ihrem Mann, dem Getty-Erben Paul und zwei Kindern in Los Angeles und es heißt, sie sei zwillings-eineiig telepathisch aus der Ferne durchaus angeschlossen. 1545989_10152603987294546_1387969684_nIch wohnte schon ein Jahr in einer kleinen Altbauwohnung im etwas piefigen Ramersdorf kurz vor der Autobahnauffahrt nach Salzburg, als nach unseren gemeinsamen Dreharbeiten Rainer zum ersten Mal bei mir auftaucht. Meine weißen italienischen Designersofas, die ich nach München gerettet hatte, findet er ziemlich überflüssig. Sowieso besteht die erste Zeit mit Rainer und den Frauen vor allem darin, alle vertrauten Sofas und Glaubenssätze über uns selbst und wie das Leben auszusehen hätte, zu pulverisieren. Abgestandenes entsorgen: Ein ständiges Encounter. Also wird meine spießige Bude gekündigt, die Sofas verkauft, zwischendurch ist mir mein knallroter Schlafzimmerteppich extrem peinlich, wird meine Seidenunterwäsche verlacht, das Skilaufen an sich für bekloppt gehalten, meine Freundin Susan und ich für schwer lesbisch erklärt. Von wem? Rainer m. Meister-FotoVon Rainer als mein Speaker, der einen scharfen Blick hat. Erst tut mir der weh, dann prüfe ich mich und schließlich wird der Schmerz häufig zu einer Inspiration. Da scheinen wir Frauen uns einig: Wir brauchen jemanden, der uns den Weg leuchtet, ein unkorrumpierbares Gegenüber, einen Spiegel und fortschrittlichen Lehrer. Guru, giften manche Freunde von früher. Und ich bin erleichtert, auch dankbar, dass ich mitten in einem Wandel stecke und endlich Lebenssinn am Horizont entdecke. Meine ersten Autofahrten ins Grüne mit meinen neuen Sucher-Freundinnen samt Vorsitzendem verlaufen so, dass spätestens auf der Leopoldstraße irgendeine Bemerkung meist von Jutta fällt, die von jetzt an bis zur Pupplinger Au zu heftig dampfenden, wie anregenden Diskussionen führt.

Pupplinger Au

Es dauert nicht lange und eine der Frauen weint. Wieder Jutta? Während Rainer mit Nachdruck von höherer Ebene aus analysiert. Meist ist mir seine Sicht  in ihrer unbürgerlichen Konsequenz so neu, dass ich viel Zeit brauche, um sie auf mich wirken zu lassen. Ich ahne, dass ich in einem Scherbenhaufen landen werde, um vielleicht, ganz sicher irgendwann wie ein Phoenix aus der Asche…. Trotzdem oder gerade deshalb ziehe ich in Ramersdorf bald aus und in der Nähe von Rainer am Hohenzollernplatz in Schwabing in ein Apartment ein. Dort sieht es dann aus wie in jedem der Apartments der anderen auch. Eine Matratze, Sisalteppich, ein einfacher Holztisch plus Stuhl und ein eingebauter Wandschrank in der kleinen Diele. Möglichst wenig Dinge, möglichst wenig Stoffliches, soll meine Höhenflüge in das neue Leben, in diesen geistigen Aufbruch behindern. Bald würde ich nicht mehr innerlich leer durch den Tag torkeln, sondern eine neue Frau, eine freie, also ein besserer Mensch werden! Klingt nach Sekte? Schon, irgendwie, ist es aber ganz und gar nicht. Sofort erste radikale Schritte: Von einem Tag auf den anderen gebe ich das Rauchen auf, lasse Alkohol und Fleisch weg, werde also Vegetarierin und versuche zu meditieren. Ich will endlich gut zu mir sein!

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Einmal besucht mich meine Schwester mit ihren Kindern. Sie ist entsetzt und ich schäme mich plötzlich in ihrer Gegenwart, dass ich meine alte Welt so schnell entsorgte. Nichts mehr, womit ich mich früher identifizierte, was mich ausmachte, und was sie kannte, ist noch zu sehen. Ihr abweisendes Gesicht sagt: Die hier ist nicht mehr ihre Schwester. Ein paar Monate später geht es einer guten Freundin aus Düsseldorf ähnlich. Ich glaube, sie denkt, ich hätte eine Gehirnwäsche hinter mir und das stimmt in gewisser Weise auch. Aber ich sehe am Horizont die Morgenröte…

 

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